Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern

Deutschland 2004
Regie: Dagmar Knöpfel
Mit: Corinna Harfouch
Verleih: movienet Film
Kinostart: Herbst 2005

Ein Film über eine Dichterin, der kein Film über eine Dichterin ist. Die deutsche Regisseurin Dagmar Knöpfel hat sich von Briefen der berühmten tschechischen Schriftstellerin Božena Nĕmcovà (1816 bis 1862 ) zu einem Drama inspirieren lassen, das weniger vom Leben einer Künstlerin, als vielmehr vom Sterben einer Frau erzählt. „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ ist ein düsteres Experiment, in dem vor allem Corinna Harfouch leuchtet.

Božena Nĕmcovà gilt bis heute als bekannteste tschechische Schriftstellerin, ihr Roman „Die Großmutter“ – ein Sittengemälde, das das tschechische Landleben beschreibt – wurde in viele Sprachen übersetzt und ihre Briefe haben Kafka inspiriert. Auch wenn man das bei der Lektüre ihres idealisierenden, in schlichter Sprache verfassten Romans nicht gleich vermuten würde: Nĕmcovà war eine für ihre Zeit moderne Frau, die sich Liebhaber nahm, politische Interessen entwickelte und sich an der Enge ihrer Ehe rieb. Von all dem erzählt Dagmar Knöpfel („Requiem für eine romantische Frau“) allerdings wenig.

Ihr Interesse ist ein formales, kein inhaltliches: Den Ausgangspunkt für ihren Film bilden drei Briefe der Božena Nĕmcovà, die sie kurz vor ihrem Tod geschrieben hat. Präzise gesagt ist es nur ein Brief, für den sie aber drei Anläufe braucht, weil sie sucht und sucht nach den Worten und Bildern, die ihr Leben und Leiden am besten beschreiben. In jedem Brief setzt sie andere Nuancen, temperiert neu, so dass sich drei verschiedene Erzählungen ergeben, die aber alle vom Gleichen handeln. Dagmar Knöpfel war fasziniert, wie sich die Wirklichkeit von Brief zu Brief verändert und stellt genau diese Verschiebung der Wahrnehmung, dieses Ringen um Wahrheit und Schönheit der Worte ins Zentrum ihres Films. Sie sprengt die Gesetze der chronologischen Narration und erzählt in Korrespondenz zu den Briefen dreimal die gleiche Geschichte jeweils in einer anderen Stimmungsfarbe. Mal ist es dunkler, mal heller, mal die Atmosphäre etwas heiterer, mal ganz verzweifelt, mal filmt die Kamera aus der Hand, mal gleitet sie auf Schienen.

Diese konzeptionelle Herangehensweise von Knöpfel führt dazu, dass sie radikal auf alle Elemente verzichtet, die ein Künstlerinnenportrait beinhalten würde. Der Film erzählt fast nichts über die Schriftstellerin Božena Nĕmcovà und konzentriert sich dafür ganz auf die Transformation von Wahrheit durch Worte. Als Experiment ist das interessant, im Kino macht sich jedoch irgendwann die Sehnsucht breit, einen anderen Film viel lieber sehen zu wollen: Corinna Harfouchs unendlich intensives Spiel, der Ausdruck ihrer Augen deutet an, wie stark diese Dichterin zerrissen gewesen sein mag im Spannungsfeld zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit. Wenn Harfouch am Schreibtisch sitzt, den Rücken aufrichtet, die Finger aneinander reibt, beginnt sie die Künstlerin in ihrem Schaffensprozess zu portraitieren, aber sie darf nur andeuten, darf der Figur nur erste Umrisse geben, weil das Regiekonzept es gar nicht vorsieht, einen lebendigen Menschen zu charakterisieren. Das Glück des Schreibens, das Glück des Gelingens ist nur in winzigen Momenten angedeutet, ebenso Nĕmcovàs  Auseinandersetzung mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld, stattdessen immer wieder das Leiden und das schmerzvolle Ringen um letzte Worte.

„Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ ist ein Film, der konsequent und bewusst das Erzählerische vermeidet. Konventioneller, aber spannender wäre es gewesen, Božena Nĕmcovà so zu zeigen, wie sie vermutlich war: Eine Frau mit schöpferischer Kraft, die nicht leben konnte ohne zu schreiben, die aber nicht so leben und schreiben durfte, wie sie wollte.  Christine Jeffs hat  in „Sylvia“, ihrem Drama über die  Dichterin Sylvia Plath, gezeigt, dass ein solches Portrait gelingen kann.

Sandra Vogell