Edelweißpiraten

Deutschland 2002
Regie: Niko von Glasow
Drehbuch: Kiki von Glasow
Darsteller: Anna Thalbach, Iwan Stebunov, Bela B. Felsenheimer
Filmverleih: Palladio Film / 3Rosen Filmverleih
Länge: 97 Minuten
Kinostart: 10.11.2005

Sechzig Jahre nach Kriegsende beherrscht Vergangenheitsbewältigung weiterhin die deutschen Lichtspielhäuser. Nach Widerstandsfilmen aus dem Kreise der Intellektuellen wie „Sophie Scholl“ oder Führerbunker-Romantik wie „Der Untergang“, schlägt Regisseur Niko von Glasow mit „Edelweißpiraten” jetzt ein vielfach vergessenes Kapitel der innerdeutschen Gegenwehr auf.

Anfang der 40er Jahre beginnen zahlreiche Jugendliche im Deutschen Reich vorsichtig gegen die Nationalsozialisten zu rebellieren. Als Erkennungszeichen stecken sie sich Edelweißanstecker ans Revers, hören Swing-Musik und nennen sich „Edelweißpiraten.“ Das klingt nach Abenteuer und Freiheit. In Köln fallen die Jugendlichen in den zerbombten Hinterhöfen zunächst nur durch harmlose Balgereien mit den minderjährigen Mitgliedern der Hitlerjugend auf. Doch aus der unpolitisch motivierten „Klassenkeile“ wird zunehmend ernst. Erst recht, als Karl (Iwan Stebunov) den entflohenen Häftling Hans (Bela B. Felsenheimer) bei sich und der zweifachen Mutter Cilly (Anna Thalbach) aufnimmt. Das einigermaßen unbeschwerte und unbeachtete Leben der Edelweißpiraten ist damit endgültig vorbei. Zumal sich Hans immer stärker zum Anführer aufschwingt und durch militante Anschläge den erbarmungslosen Unmut der Nazis auf die Bewegung zieht.

Niko von Glasows bewegendes Kriegsdrama basiert vage auf den Erlebnissen von Jean Jülich, einem der letzten noch lebenden Edelweißpiraten. Im Film spricht Jülich im trotzigen Kölner Idiom die Rahmenhandlung. Trotzig deshalb, weil die Edelweißpiraten bis zum 16. Juni 2005 in Deutschland nicht offiziell als Widerstandskämpfer anerkannt wurden. Einigen Mitgliedern wurde über Jahre hinweg gar die geistige Fähigkeit abgesprochen, überhaupt ein Widerstandskämpfer sein zu können. Schließlich waren sie eher unorganisierte kleine Zellen und keine Adligen wie die Gruppe um Graf von Stauffenberg oder Intellektuelle wie die Mitglieder der Weißen Rose.

Tatsächlich sind auch die Edelweißpiraten im Film zunächst nichts anderes als ganz normale Jugendliche, die ihren Spaß haben wollen und einfach nur das Ende des Krieges herbeisehnen. Doch bei vereinzelten Splittergruppen wandelt sich mit der Zeit die Motivation, da sie erkennen, dass ein Ende des Krieges eng mit einem Ende des Nazi-Regimes verbunden ist. Dadurch entwickelt sich auch eine Form der bewaffneten Gegenwehr.

Im Gegensatz zu anderen Filmen über den Widerstand in Deutschland setzt von Glasow bei seinem Werk nicht auf überdimensional visualisierte Gräueltaten oder übertriebene Dramatik. Er schildert eine Geschichte über einfache Männer und Frauen aus der Mitte des Volkes, die in einer schweren Krisenzeit außerordentliche Risiken eingehen. Doch von Glasow, der als Produktionsassistent von Rainer Werner Fassbinder und Jean-Jacques Annaud ins Filmgeschäft rutschte, spart dabei durchaus nicht an Selbstkritik. Seine Kämpfer sind längst nicht alle bis zum letzten Atemzug in ihren Überzeugungen standhaft. Auch untereinander kommt es zu Denunziation und Verrat. Selbst Hauptfigur Karl ist davon nicht gefeit. Gerade das macht den Film so authentisch, menschlich und allgemeingültig.

„Edelweißpiraten” erzählt eine eindringliche Geschichte, die im Ausland keine Schwierigkeiten hatte, einen Filmverleih zu finden. In Belgien wurde der Film mit 25 Kopien gestartet und selbst im fernen Thailand war er mit drei Kopien in den Kinos. Nur die deutschen Verleiher taten sich schwer und wollten den Film nicht oder nur in ganz geringer Auflage zeigen. Aus diesem Grund nahm von Glasow nach beinahe zehnjähriger Produktionszeit die Angelegenheit schlussendlich selbst in die Hand, gründete einen eigenen Filmverleih und wird seinen Film am 10. November 2005 bundesweit mit 40 Kopien in die Kinos bringen. Übrigens auf den Tag genau 61 Jahre nachdem in Köln sechs jugendliche und sieben erwachsene Edelweißpiraten von den Nazis öffentlich und ohne Urteil gehängt wurden.

Oliver Zimmermann