Es ist aus, Helmut

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Regisseurin Petra Lüschow erzählt in „Es ist aus, Helmut“ eine authentische Geschichte aus den Achtzigerjahren von freier Liebe, gewaltfreiem Protest und den Nachwehen des Zweiten Weltkrieges. Das dabei transportierte Lebensgefühl ist der große Pluspunkt eines Films, der die vielen Themen nicht immer unter einen Hut bekommt.

Webseite: www.nfp-md.de

Deutschland 2018
Regie: Petra Lüschow
Darsteller: Anna Florkowski, Florian Stetter, Christina Große, Thorsten Merten, Hermann Beyer, Britta Hammelstein, Leon Ullrich, Barbara Philipp
Länge: 90 Minuten
Verleih: NFP Marketing & Distribution GmbH
Kinostart: 26. Juli 2018

FILMKRITIK:

Es sind die Achtzigerjahre, wir befinden uns in Westdeutschland – und die 17-jährige Ursula (Anna Florkowski) mitten in der Pubertät. Sie hat nicht viele Freunde und wird aufgrund ihrer fülligen Figur häufig zur Zielscheibe von Hänseleien. Auch zuhause hat es das kluge Mädchen nicht leicht: Ihre Eltern Inge (Christina Große) und Helmut (Thorsten Merten) leben streng konservativ und wünschen sich für ihre Tochter nach der Schule ein Leben als Hausfrau und Mutter. Ursula dagegen hat andere Pläne und ist schon als Teenagerin politikinteressiert und engagiert sich gegen Atomkraft. Als sie eines Tages den gutaussehenden Lehrer Siegfried Grimm (Florian Stetter) kennenlernt, nimmt ihr Leben eine radikale Wendung. Siegfried betreibt einen Bio-Bauernhof, wo er gemeinsam mit vielen weiteren Aktivisten lebt, Selbstfindungskurse veranstaltet und gewaltfreie Proteste organisiert. Er gibt sich verständnisvoll gegenüber Ursula, interessiert sich für ihre Bedürfnisse und wird dadurch prompt zum Objekt ihrer Begierde. Leider ahnt Ursula nicht, dass sie für den freiheitsliebenden Polygamisten nicht das einzige Mädchen ist…

Es ist fast schon ein Running Gag, dass deutsche Filmemacher nichts Anderes können, als Romantic Comedies und historisch eingefärbte Dramen. Wenn nicht gerade der Zweite Weltkrieg im Fokus steht, sind es bevorzugt die Jahre rund um die Wende, die in der Regel aus der Sicht des Ostens erzählt werden. Insofern ist die Entscheidung der Regisseurin Petra Lüschow regelrecht erfrischend, ihre Geschichte im Westen anzusiedeln. Darüber hinaus streut sie zwar immer wieder politische Themen ein und nicht nur die deutsche Teilung ist allgegenwärtig spürbar, sondern auch die Nachwehen des Dritten Reiches. Doch in erster Linie geht es in „Es ist aus, Helmut“ um die Teenagerin Ursula, die Lüschow ebenfalls alles andere als klischeehaft anlegt. Letztlich könnte ihr Film vermutlich auch im Hier und Jetzt spielen, die Veränderungen wären nur marginal spürbar. Denn die in der Komödie abgehandelten Themen sind zeitlos – aber es sind eben auch ganz schön viele. Und so erzählt Lüschow zwar von allem etwas, jedoch nichts so ganz. Unterhaltsam und vor allem atmosphärisch ist „Es ist aus, Helmut“ trotzdem allemal.

Ursula erlebt nicht bloß ihre erste große Liebe, sie muss sich außerdem mit dem permanent schief hängenden Haussegen herumschlagen, ihre Mutter betrügt ihren Vater (mit dem Mann, auf den ja eigentlich ihre Tochter steht), der Opa verbirgt eine undurchsichtige Nazi-Vergangenheit, im Dorf sorgt eine Bio-Kommune für Aufsehen und auch ein verschwundenes Mädchen, nach der über die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ gefahndet wird, spielt irgendwo in diesem Wust an Handlungssträngen eine Rolle. Petra Lüschow hat viel vor, um ein Kaleidoskop von authentischem 80s-Flair auf die große Leinwand zu bringen und widmet sich der freien Liebe genauso ausführlich, wie dem Kampf gegen die Atomkraft. Entsprechend viele Charaktere treten im Laufe der flott inszenierten 90 Minuten aufs Parkett und auch, wenn sie alle mit genügend Spleens ausgestattet sind, um sie zumindest anhand dessen zuordnen zu können, versäumt es die Filmemacherin, sich für sie alle gleichermaßen zu interessieren. Eine glaubhafte Charakterentwicklung wird sogar nur der Hauptfigur selbst zuteil: Mit Ursula und ihren Gefühlswirrungen steht und fällt der Film und die Newcomerin Anna Florkowski ist in der Rolle der aufbegehrenden Rebellin, die endlich etwas gegen ihr unscheinbares Dasein unternehmen will, eine echte Offenbarung. 

Der Rest des Casts fungiert allenfalls als Stichwortgeber und agiert lediglich so, wie es für den Verlauf der Handlung notwendig ist. So richtig nah kommt man den allermeisten Charakteren dadurch nicht. Florian Stetter („Geliebte Schwestern“) ist als Siegfried Grimm tatsächlich umwerfend, doch viel mehr als Frauen umarmen und charmant lächeln, kann er nicht. Ursulas beste Freundin dreht sich ganz ihres pubertären Alters entsprechend wie ein Fähnchen im Wind, während Ursulas Eltern fast zu Statisten degradiert werden, obwohl es schon der Filmtitel „Es ist aus, Helmut“, der sich auf die Trennung zwischen Inge und ihrem Ehemann bezieht, eigentlich anders ankündigt. Sie alle bereiten eben dem Mädchen die Bühne, durch dessen Augen wir die sukzessive immer absurder werdenden Ereignisse beobachten. Würden Petra Lüschow und Kollegen ihr Handwerk nicht so perfekt beherrschen, hätte man als Zuschauer bestimmt schon nach der Hälfte abgeschaltet – so viele obskure Zwischenfälle in einem Film muss man schon authentisch inszenieren, um nicht ins Hanebüchene abzugleiten. Aber zumindest hier sind die Macher voll in ihrem Element. So skurril das auch alles ist, so glaubwürdig mutet es doch an. 

Antje Wessels