Frau des Leuchtturmwärters, Die

Drama Frankreich 2004, 105 Min.
Regie: Philippe Lioret
Buch: Philippe Lioret, Emmanuel Courcol, Christian Sinniger
Kamera: Patrick Blossier
Musik: Nicola Piovani
Darsteller: Philippe Terreton, Grégori Derangère, Sandrine Bonnaire, Emillie Dequenne
Verleih : Arsenal (Central)
Filmstart : 16.6.2005

In seinem vierten Kinofilm erzählt Philippe Lioret die Geschichte einer Männerfreundschaft und einer unmöglichen Liebe. Mit Sandrine Bonnaire, Philippe Terreton und Grégori Derangère ist diese Dreiecksgeschichte großartig besetzt. Das französische Erzählkino entdeckt hier den Charme der bretonischen Landschaft, so dass „Die Frau des Leuchtturmwärters“ einen vorläufigen Höhepunkt im neuen französischen „film du terroir“-Genre darstellt.

Das französische Kino begeistert derzeit sein Publikum mit Produktionen, die als „films du terroir“ gefeiert werden. Das Wort „terre“ (Erde) steht für Region, Heimat, Natur – ein „vin du terroir“ ist ein Landwein, ein „poète du terroir“ ein Heimatdichter. In Deutschland tut man sich aus historischen Gründen schwer mit dieser Art von Filmen, in die Franzosen in Massen strömen, denn dieses Kino ist bei uns diskreditiert. Heimatfilm, Blut und Boden. Igitt.

1,2 Millionen Zuschauer strömten in „Der Schmetterling“ – ein „film du terroir“, in dem der alte Michel Serrault einer Göre die Schönheit der französischen Bergwelt erschließt. 1,8 Millionen wollten mit „Sein und Haben“ die Geschichte eines Lehrers einer Ein-Klasse-Schule in der Auvergne sehen. 2,5 Millionen gingen in „Eine Schwalbe macht den Sommer“, worin ein eine junge Städterin in die Provinz flüchtet und sich dort mit einem halsstarrigen Bauer (wieder Serrault) anfreundet. Und zuletzt „Die Kinder des Monsieur Mathieu“, der die Geschichte eines Aushilfslehrers erzählt, der die Rabauken einer Provinzschule in Musterschüler und disziplinierte Sängerknaben verwandelt: 7,5 Millionen Zuschauer.

Mit „Die Frau des Leuchtturmwärters“ kommt jetzt ein weiterer „film du terroir“ in die deutschen Kinos, der wie die anderen Filme weit weg von der Metropole Paris spielt, nämlich an auf einer bretonischen Insel. Gezeigt wird hier ein Idyll, doch die Zeichen der Zeit stehen auf Abschied. Eine Frau kehrt dorthin zurück, um den Umzug für ihre Mutter zu organisieren. Der mächtige Leuchtturm, der später zum Symbol der bretonischen Inselbewohner werden wird, ist inzwischen voll automatisiert. Deshalb steht auch das Haus des ehemaligen Leuchtturmwärters zum Verkauf, für das sich reiche Hauptstädter als Feriendomizil interessieren. Ein Buch ist es, das die Tochter später vom Verkauf des Hauses abhalten wird. Mit der Lektüre eines autobiographischen Romans, der von einem Unbekannten zugesandt wird, springt der Film in einem langen Flash-Back ins Jahr 1963, in eine Zeit also, wo die Bretonen noch vom Fischfang lebten und sich Touristen von der rauhen Küstenlandschaft fern hielten. Die Kamera von Patrick Blossier fängt in träumerisch-elegischen Bildern die Schönheit dieser Natur ein. Doch die Geschichte, die nun erzählt wird, bricht dieses Idyll auf: Ein Fremder hat sich auf die Stelle eines Leuchtturmwärters beworben, doch die bretonischen Inselbewohner misstrauen jedem, der nicht einer von ihnen ist. Inmitten seiner Einsamkeit fühlt sich Antoine Cassendi magisch angezogen von Mabé, die Sandrine Bonnaire mit einer Mischung aus resoluter Eleganz und unterkühlter Leidenschaft spielt. Doch auch zu ihrem Mann Yvon, hervorragend in Szene gesetzt von Grégori Dérangère, entwickelt sich eine Freundschaft, die das fragile Gleichgewicht der Dorfgemeinschaft ins Wanken bringt.

Die Dramaturgie des Films lebt nicht von den Dialogen, sondern von den unausgesprochenen Worten und Gefühlen. Es sind die kleinen Gesten, die ausweichenden, scheinbar bedeutungslosen Nebensätze, die Mimik der Akteure, in denen sich die verschlossenen und zugleich sensiblen Charaktere offenbaren. Nicht umsonst hat man das französische Kino als „Kino der Blicke“ bezeichnet, und Regisseur Philippe Lioret und seine Schauspieler beherrschen meisterhaft die Kunst dieser reduktionistischen Inszenierung.

Ralph Winkle