Höhenluft – Für Alle und Keinen

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Zwei nicht näher beschriebene Wanderer, die in einer traumhaften, alpinen Bergwelt umherlaufen. Zufällig stoßen sie auf eine identitätslose Frau, die Teil ihres undurchsichtigen Wettstreits wird. Um viel mehr scheint es in Mika'Ela Fishers experimenteller Mischung aus Psycho-Drama, Mystery und Heimatfilm nicht zu gehen. Vieles bleibt ungenannt und lediglich angedeutet, Orts- und Zeitangaben fehlen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, wie viele kluge Ansätze, Botschaften und (philosophische) Ideen tatsächlich in dem Debütfilm stecken. Am Ende steht ein bisweilen unheilvoller und manchmal gar verstörender Film, der durch Atmosphäre und dramaturgische Originalität besticht. Unkonventionell und voller Überraschungen.

Deutschland, Frankreich, Österreich 2023
Regie: Mika'Ela Fisher
Buch: Mika'Ela Fisher
Darsteller: Mika'Ela Fisher, Laurens Walter, Aurélie Lamachère

Länge: 100 Minuten
Verleih: Partisan
Kinostart: 16.11.23

FILMKRITIK:

Spenta (Laurens Walter) und Angra (Mika’Ela Fisher) wandern mitten durch abgeschiedene Gebirgslandschaften und wollen den Gipfel erreichen. Ihr Verhältnis untereinander ist nicht ganz klar und mysteriös, dennoch können die Zwei nicht ohne den jeweils Anderen. Als sie einen Marathonlauf von einem der Berge beobachten, schießt Angra mit ihrer Pistole auf eine namenlose Läuferin. Kurz darauf lernen die Drei einander kennen und auch Spenta interessiert sich immer mehr für die Fremde. Allmählich entspinnt sich ein Wettkampf um die Gunst der Frau. Am Ende kann jedoch kein Gewinner stehen.

Mit „Höhenluft“ legt die Münchenerin Mika'Ela Fisher, Drehbuchautorin, Produzentin und Model, ihren Regie-Erstling vor. Es ist ein anspruchsvoller, tiefsinniger Film, der sich einer einfachen Betrachtung und simplen Handlung völlig verschließt. Das zeigt sich bereits im Prolog und den vielen Zitaten aus dem Off. Ein Beobachter und Erzähler begleitet das Geschehen auf der Leinwand mit Auszügen aus Friedrich Nietzsches dichterisch-philosophischem Werk „Also sprach Zarathustra“.

Wenn man weiß, dass es in dieser Dichtung um, vereinfacht gesagt, Motive und Inhalte wie die Gleichheit des Menschen, Machtgefälle und eine den Menschen bedrohende Passivität geht, so findet man in „Höhenluft“ unzählige inhaltliche und visuelle Entsprechungen dieser Themen. So fällt bei aufmerksamer Beobachtung etwa auf, wie ähnlich sich die beiden Hauptfiguren, Spenta und Angra, bewegen. Und dass sie fast identisch gekleidet sind. In Art und Charakterzügen unterscheiden sie sich.

Spenta ist eher still, introvertiert und passiv. Er möchte am liebsten ungestört lustwandeln und die Natur genießen. Angra hingegen ist undurchschaubar und geht dazu über, ihren Partner zunehmend zu ärgern und zu provozieren. Sie aktiviert ein durchtriebenes Psychospielchen, das dem Film immer wieder die Aura eines bedrohlichen psychologischen Thrillers verleiht.

Dazu trägt außerdem die Tonspur bei. So sind des Öfteren düstere Klanglandschaften und durchdringende, an Hitchcocks „Psycho“ erinnernde Streicher zu vernehmen, die ganz unvermittelt erklingen. Zwischendurch hört man Volkstümliches und zünftige Blasmusik, die dem Handlungsort und dem Trachten-Outfit der Protagonisten entsprechen. Überhaupt scheint es der mit unterkühltem, eisigem Gesichtsausdruck auftretenden Mika'Ela Fisher dann doch auch um das Gegensätzliche zu gehen. Trotz der Betonung von „Gemeinsamkeit“ und „Gleichartigkeit“. Offenkundig wird dies durch die Musikauswahl und die bereits erwähnten, verschiedenen Persönlichkeiten der Hauptcharaktere.

Klar ist: Der Zuschauer muss sich voll auf das Geschehen einlassen und bereit sein, hinter die Fassade zu blicken. Dann wird er mit einem Film belohnt, der allerlei Überraschungen und, trotz der reduzierten Story, unerwartete Wendungen sowie ausgefallene Regieeinfälle bereithält. Dazu zählen abrupte Gesangseinlagen ebenso wie ein plötzlicher kleiner Exkurs in die Welt der Butterproduktion und die traditionelle, ländliche Molkerei. Manch einer mag diese Abfolge von Szenen als zusammenhanglos und wirr bezeichnen. Man kann darin aber gleichermaßen Fishers Mut zur Leerstelle und eine originelle, kompromisslose Sprunghaftigkeit sehen, die gängigen Sehgewohnheiten zuwiderläuft. Und gerade deshalb so neu und frisch erscheint.

 

Björn Schneider