Kammerflimmern

Deutschland 2003
Regie:  Hendrik Hölzemann
Drehbuch:  Hendrik Hölzemann
Darsteller: Matthias Schweighöfer, Jessica Schwarz, Jan Gregor Kremp, Bibiana Beglau
Filmverleih: Constantin
Filmlänge: 101 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 3. Februar 2005

In seinem schwermütigen Regiedebüt präsentiert Hendrik Hölzemann die deutsche Antwort auf Martin Scorseses Sanitäterdrama „Bringing Out the Dead”, die er mit einer poetischen Liebesgeschichte verknüpft. Herausgekommen ist ein beeindruckend authentischer Film zwischen Rettungsdienst und Romantik.

„Wenn einem im Leben nichts mehr bleibt, kann man nur noch zwei Dinge tun: Einatmen und Ausatmen!” Seit dem Unfalltod seiner Eltern lebt der junge Sanitäter Crash (Matthias Schweighöfer) nach dieser eigenwilligen Maxime. Sein Dasein lässt er trist dahinfließen. Von seinen Mitmenschen und sich selbst erwartet er nichts. Umso erstaunlicher ist es, wie aufopferungsvoll und mitfühlend er mit seinen Patienten umgeht. Als Crash bei einem seiner nächtlichen Einsätze die hochschwangere November (Jessica Schwarz) kennen lernt, wird er erstmals seit vielen Jahren aus seiner emotionalen Lethargie gerissen. Auf wundersame Weise erinnert ihre Erscheinung an jene Frau, die ihn in seinen Träumen allabendlich in die Arme schließt. Zum ersten Mal keimt in Crash das Gefühl auf, dass auch sein eigenes Leben letztendlich einen Sinn hat.

In „Bringing Out the Dead” begleitete Martin Scorsese den amerikanischen Rettungsdienst durch die Nacht. Der Meisterregisseur präsentierte sein Werk als einen berauschend bebilderten Drogentrip. Die deutsche Antwort von Regiedebütant Hendrik Hölzemann fällt fünf Jahre später wesentlich nüchterner aus. Die Tage sind grau, die Nächte düster und die Stimmung deprimierend. Wenn Crash mit seinen abgestumpften Kollegen von Einsatz zu Einsatz hetzt, bleibt wenig Platz für Hoffnung und Romantik.
Hölzemann schildert in „Kammerflimmern” einen erschreckend authentisch wirkenden Arbeitsalltag im Rettungsdienst. Doch schon die Ambulanz ist fiktiv. Keine der real existierenden Hilfsorganisationen wollte ihren Namen für den düsteren Filmstoff zur Verfügung stellen. Dabei weiß der junge Regisseur, der zuletzt mit dem Drehbuch zu „Nichts bereuen” auf sich aufmerksam machen konnte, ganz genau wovon er spricht: Während seines Zivildienstes hat er selbst als Sanitäter gearbeitet. Jeder der dargestellten Fälle ist an eigene Erlebnisse angelehnt. Und die reichen von Schockzuständen und Schlaganfällen bis hin zu Selbstmordabsichten.

Auch die Figuren, die in „Kammerflimmern” im Sanitätsdienst auftauchen, erscheinen realistisch. Neben dem großartigen Nachwuchstalent Matthias Schweighöfer werden sie unter anderem gespielt von Jan Gregor Kremp, Florian Lukas oder Bibiana Beglau, die als „Dr. Tod” eine wunderbar verhärmte Vorstellung abliefert. Permanent erscheinen die Sanitäter mürrisch und unausgeschlafen. Das tägliche Leid können sie nur mit viel Zynismus oder noch mehr Drogen ertragen. Das ist wahrlich kein schöner Anblick. Besonders vor einer Kölner Kulisse, die im steten Nieselregen zu ertrinken droht.

Was für ein Segen ist es da, dass „Kammerflimmern” noch eine weitere, zutiefst poetische und beinahe religiöse Ebene besitzt. Während Crash innerlich vollkommen ausgebrannt ist, wirkt er auf seine Mitmenschen wie ein unnahbarer Schutzengel. Er schwebt zwischen den Sphären. Zwischen täglichen Einsätzen und nächtlichen Alpträumen. Erst die Beziehung zu November holt ihn ins Leben zurück. Die Liebe ist für Crash wie eine zweite Geburt. Und wer das nicht begreifen will, dem präsentiert Hölzemann dieses Bild zum Schluss mit der pathetischen Holzhammermethode. Das wirkt dann zwar etwas überzogen, doch das sei dem Debütanten verziehen. Immerhin präsentiert er ansonsten ein eindrucksvolles Werk über Liebe und Sanitäter, das den Zuschauer durch fantastische Einstellungen und großartige Darsteller nachhaltig in seinen Bann zieht. „Kammerflimmern” ist schwer verdauliche aber absolut lohnenswerte Filmkost.

Oliver Zimmermann