Kinds of Kindness

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Zuschauer, die erst durch „Poor Things“ auf Yorgos Lanthimos aufmerksam wurden und deswegen in seinen neuen Film „Kinds of Kindness“ gehen, könnten überrascht werden. Ob angenehm oder unangenehm, das ist die Frage, denn was Lanthomos in drei losen, aber doch komplex verbundenen Episoden erzählt, mag manche verstören und anwidern, andere überraschen, belustigen, inspirieren. So oder so ein seltsamer, sehr eigener Film.

Irland/ GB 2024
Regie: Yorgos Lanthimos
Buch: Yorgos Lanthimos, Efthimis Filippou
Darsteller: Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe, Margaret Qualley, Hong Chau, Joe Alwyn, Mamoudou Athie

Länge: 164 Minuten
Verleih: Disney
Kinostart: 4. Juli 2024

FILMKRITIK:

„Der Tod von R.M.F.“ heißt das erste der drei Kapitel von Yorgos Lanthimos neuem Film „Kinds of Kindness“, also in etwa Arten der Freundlichkeit, gefolgt von „R.M.F. fliegt“ und „R.M.F. isst ein Sandwich.“ Wer ist nun dieser seltsame R.M.F., um den die drei Episoden kreisen? Am Ende wird klar, dass es sich nur um eine Nebenfigur handelt, die kein Wort sagt, während die Stars des Films - Emma Stone, Jesse Plemons, Willem Dafoe, Margaret Qualley – in wechselnden Rollen zu sehen sind.

Jesse Plemons etwa, der zunächst den etwas bieder wirkenden Angestellten Robert spielt, der seinem Boss Raymond (Willem Dafoe) hörig zu sein scheint und jede noch so seltsame Anweisung ausführt. Selbst seine Ehe war von Raymond arrangiert, doch nun ist Schluss, denn einen vielleicht tödlichen Autounfall mag Robert nicht verursachen. Doch der Ungehorsam hat Folgen und Robert findet sich auf einmal einsam und ausgeschlossen wieder und muss nun vor allem eigene Entscheidungen fällen.

Auch in der zweiten Episode steht Plemons im Mittelpunkt, diesmal als Polizist David, dessen Frau Liz (Emma Stone) erst verschwunden war, dann aber wieder auftaucht, aber vielleicht eine andere ist. Nun ist es Liz, die David hörig ist und zunehmend bizarre Anweisungen ausführt, inklusive der Aufforderung, einen ihrer Finger abzuschneiden und zum Essen zu servieren.

Emma Stone ist es wiederum, um die die dritte Episode kreist, in der die Hörigkeit gegenüber dem Sektenführer OMI (Willem Dafoe) das Thema variiert. Was natürlich auch sexuelle Gefälligkeiten beinhaltet, wobei kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht wird.

Es soll Zuschauer geben, denen die beiden letzten Filme von Yorgos Lanthimos – „The Favourite“ und „Poor Things“ – zu glatt erscheinen, die sich zu den Anfängen zurückwünschten, als der griechische Regisseur in seiner Heimat Filme wie „Dogtooth“ oder „Alps“ drehte. Als Greek Weird Wave wurden diese und andere Filme bezeichnet, als Drehbuchautor fungierte damals Efthimis Filippou, der nun auch das Buch zu „Kinds of Kindness“ geschrieben hat.

Dass es nun bekannte internationale Schauspieler sind, die sich mit ganzem Körpereinsatz in die Welten von Filipou und Lanthimos stürzen, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche Note. Denn trotz der Starbesetzung könnte „Kinds of Kindness“ nicht seltsamer sein. Gedreht wurde an den am wenigsten touristischen, genauer gesagt komplett austauschbaren Orten New Orleans, statt der mobilen Handkamera, die die beiden Vorgänger prägten, filmen Lanthimos und sein Kameramann Robbie Ryan in meist starren Breitwandkompositionen, die das surreale, seltsame Geschehen mit fast klinischem, distanziertem Blick einfangen. Mit großer Spielfreude nehmen die Akteure ihre diversen Rollen an, lassen sich ganz auf das ein, was Lanthimos ihnen anbietet. Man wüsste zu gerne, ob der Regisseur seinen Schauspielern genauer erklärt hat, was er mit „Kinds of Kindness“ anstrebt, ein Titel, der nach den wie im Flug vorbeigehenden 165 Minuten auch schon wie ein (böser) Witz wirkt. Denn nett sind die Figuren nun gewiss nicht, agieren stattdessen wie überzeichnete Typen, denen man in der realen Gegenwart allzu oft begegnet: Narzissten, Selbstdarsteller, Sektenführer der ein oder anderen Art, nach Aufmerksamkeit strebenden, aber im Kern unsicheren Wesen, die sich der Paranoia hingeben.

Dass man diesen Figuren dennoch gerne zusieht ist am Ende die große Kunst von Filippou, Lanthimos und den Schauspielern, die eine Welt kreieren, die zwar nicht real ist, aber die Abgründe und Exzesse unserer Gegenwart durch extreme Übersteigerung und satirische Überhöhung entblößt.

 

Michael Meyns