Klavierstunden

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Ein Film über Iren, die Klavierspielen lernen. Auf den ersten Blick hört sich „Klavierstunden“, eine Dokumentation von Ken Wardrop, wenig aufregend an, doch sie ist einen zweiten Blick wert. Denn die Miniaturen, die Wardrop über zahlreiche jüngere und ältere Klavierschüler zusammengestellt hat, formen sich zu einem reichen Porträt der irischen Gesellschaft.

Webseite: www.dejavu-film.de

Dokumentation
Making the Grade
Irland 2018
Regie: Ken Wardrop
Länge: 83 Minuten
Verleih: déjà-vu film
Kinostart: 16. Januar 2020

FILMKRITIK:

Die erstaunliche Zahl von 30.000 Klavierschülern bereiten sich jedes Jahr in Irland auf die Prüfung an einer Musikschule vor. Dabei bewegen sie sich durch acht Lernstufen, von Anfängern bis zum Standard. Mehrere Dutzend dieser 30.000 hat der irische Dokumentarfilmer Ken Wardrop für seinen Film vor die Kamera geholt, hat sie während des Unterrichts beobachtet und zusätzlich interviewt.

Von fünfjährigen Kindern, die zum allerersten Mal Klavierunterricht bekommen, über Teenager, die schon einiges Talent entwickelt haben, bis zu einem schon äußerlich eher dem Heavy Metal zugeneigten erwachsenen Mann, der einmal etwas anderes ausprobieren möchte. Die Motivation der Schüler ist dabei ebenso unterschiedlich wie ihre soziale Herkunft. Gerade die jüngeren nehmen verständlicherweise meist weniger aus eigenem Antrieb am Unterricht teil, sondern weil ihre Eltern sie dazu drängen. Die älteren wiederum versuchen oft, ihr Hobby in etwas professionellere Bahnen zu lenken oder haben sich das Ziel gesetzt, ein bestimmtes Lied zu beherrschen.

Wie in seinen früheren Filmen „His & Hers“ und „Mom & Me“ setzt der irische Regisseur Ken Wardrop auch in seiner dritten abendfüllenden Dokumentation ganz auf Beobachtung und Zuhören. Ging es in seinem Debüt um das Verhältnis der Frauen Irlands zu den Männern und im Nachfolger um das von Kindern zu ihren Müttern, könnte man „Klavierstunden“ als Film über das Verhältnis von Schülern zu ihren Lehren, noch mehr aber zur Musik selbst bezeichnen.

Passenderweise wird dem Film als Motto ein Zitat von Ludvig van Beethoven vorangestellt, das da lautet: „Eine falsche Note zu spielen ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft zu spielen ist unverzeihlich.“ Dementsprechend spielen die Prüfungen, auf die die Schüler sich vorbereiten dann auch keine Rolle, wer besteht, wer durchfällt erfährt man nicht. Das Spielen selbst steht im Vordergrund, das Vergnügen, ein Stück zu beherrschen, aber auch die Motivation, eine schwierige Passage endlich zu meistern.

Besonders wichtig dabei ist der Umgang der Lehrer mit ihren Schülern, die Notwendigkeit, streng zu sein, aber nicht so demotivieren, zu ermahnen, aber dennoch die Lust an der Musik nicht durch zu großen Ehrgeiz zu erlahmen. Ein oft inniges Verhältnis entsteht dabei, wie in den zahlreichen kurzen Vignetten deutlich wird.

Reduziert und vielfältig zugleich sind dabei die Orte, in denen Wardrop gedreht hat: Meist irische Wohnzimmer, einfache Räume in denen ein Flügel oder ein Klavier markantester Einrichtungsgegenstand ist, dazu ein Sofa, auf dem die Interviews stattfinden, vielleicht noch ein Blick durch die Fenster auf irische Landschaften. Kein Film lauter Töne ist „Klavierstunden“, sondern ein ruhiges, genau beobachtetes Porträt unterschiedlichster Typen, die in ihrer Vielfalt die irische Gesellschaft formen.

Michael Meyns