Of Fathers and Sons – Kinder des Kalifats

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Es gehört eine Portion Kühnheit dazu, einen investigativen Dokumentarfilm wie „Of Fathers and Sons“ zu drehen. Um die Lebenswelt eines Dschihadisten einzufangen, gab sich der im Berliner Exil lebende Filmemacher Talal Derki („Return to Homs“) bei der Rückkehr in sein Geburtsland Syrien als Kriegsfotograf aus, der die salafistische Ideologie gutheißt. Zweieinhalb Jahre lang begleitete er den glühenden Islamisten Abu Osama, ein Mitbegründer der al-Nusra-Front, der seinen Söhnen von klein auf militantes Gedankengut vermittelt. Dabei entstand ein hoch spannendes Dokument, das einen seltenen Blick auf eins der zentralen Themen unserer Zeit wirft. Der Film erhielt 2018 unter anderem den Grand Jury Prize des Sundance Filmfestivals und den Deutschen Dokumentarfilmpreis.

Webseite: www.offathersandsons-film.de

Deutschland, Libanon, Katar, Syrien 2017
Regie: Talal Derki
Mitwirkende: Abu Osama
Laufzeit: 99 Min.
Verleih: Port au Prince Pictures
Kinostart: 21. März 2019

FILMKRITIK:

Der 1974 geborene Abu Osama glaubt fest daran, dass der seit 2011 währende Bürgerkrieg in Syrien der Auftakt eines Weltkriegs ist, an dessen Ende die Errichtung eines „gerechten Kalifats“ steht. Dafür kämpft er als Milizionär der al-Nusra-Front, die zum Terrornetzwerk al-Qaida gehörte und seit 2016 dem Islamischen Staat folgt. Natürlich erzieht der Religionseiferer auch seine Kinder im islamistischen Sinn. Während die Frauen nie vor die Kamera treten und allenfalls kurz erwähnt werden, zeigen viele Szenen, wie der Dschihadist seine Söhne mit Schariastudien indoktriniert. Dass fast alle der Kinder nicht zur Schule gehen, versteht sich von selbst.

Offensichtlich konnte Talal Derki das volle Vertrauen des Familienoberhaupts gewinnen, was unmittelbare Einblicke in das Leben des IS-Anhängers ermöglicht. Derki begleitet den Mann mehrmals auf Minensuche in der kargen Landschaft und zeigt das Leben der Großfamilie in einer einfachen Behausung. Manche Szenen sind so absurd, dass sie fast ausgedacht wirken. Einmal fangen Osamas Söhnen einen Vogel; einer der Jüngeren entscheidet, das Tier mit einem Messer zu töten. Hinterher berichtet er dem Vater: „Wir haben ihm den Kopf abgeschlagen wie du damals dem Mann.“

Die schnörkellosen Bilder liefern unverfälscht wirkende Einblicke ohne forcierte Dramatisierungen. Musik kommt, wenn nicht gerade ein gottesfürchtiges Lied im Autoradio läuft, sehr punktuell zum Einsatz, auch die Montage drängt sich nie in den Vordergrund – schon die Tatsache, dass Talal Derki den Protagonisten so nah kommt und sie sogar in einem Verschlag knapp hinter der Front filmt, ist aufsehenerregend genug. Dass die Stimmung der Beobachtung niedergedrückt ist und kaum Hoffnung zulässt, liegt in der Natur der Sache.

Zwischen Panzerwracks und russischen Düsenjägern ergeben sich aber auch Momente relativer Normalität. Mehrere Szenen zeigen die Söhne beim ausgelassenen Spielen. Zwar gehen sie teils sehr ruppig miteinander ins Gericht, im Grunde wirken sie aber nicht fundamental anders als von Krieg und Fundamentalismus verschonte Kinder. Umso bitterer ist es, dass für sie von Vornherein kein friedliches Leben möglich scheint.

Einmal schickt Osama zwei der Söhne zur Kampfertüchtigung in ein Militärcamp der al-Nusra-Front. Dort müssen die Jungen zur Abhärtung beispielsweise still auf dem Boden liegen, während knapp neben ihren Köpfen die Kugeln der Ausbilder einschlagen. Den Kindern missfällt der Drill, nachts überlegen sie, abzuhauen. Doch es hilft nichts. Osamas ältester Sohn soll das harte Training weiterführen. Vor der Abreise verabschiedet er sich von einem seiner jüngeren Brüder – vielleicht, wahrscheinlich sogar für immer.

Christian Horn