Silent Night – Stumme Rache

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Nach 20 Jahren ist John Woo zum amerikanischen Kino zurückgekehrt. Vermutlich lockte ihn das minimalistische Skript und der ungewöhnliche Ansatz, einen Film ohne Dialoge zu erzählen. Es geht um einen Vater, dessen Sohn bei einer Gang-Auseinandersetzung getötet wurde und der daraufhin beginnt, für den Tag zu trainieren, da er alle Schuldigen bestrafen kann. Joel Kinnaman spielt den stummen Vater, anfangs mit Momenten echten Dramas, dann nur noch in einem Action-Overkill.

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Silent Night
USA 2023
Regie: John Woo
Buch: Robert Archer Lynn
Darsteller: Joel Kinnaman, Catalina Sandino Moreno, Kid Cudi

Länge: 104 Minuten
Verleih: Leonine
Kinostart: 14. Dezember 2023

FILMKRITIK:

Brian läuft zwei Autos hinterher, in dem rivalisierende Gang-Mitglieder sitzen und sich beschießen. Es gelingt ihm auch, einen der Wagen aufzuhalten, dann schießt ihm einer der Männer jedoch in den Hals. Durch eine Notoperation überlebt er, aber reden kann Brian jetzt nicht mehr. Den Tod seines Sohnes, der bei der Gang-Auseinandersetzung getötet wurde, kann er auch nicht verwinden. Er beginnt zu trainieren, weil es in seinem Leben nur noch ein Ziel gibt: Er will Rache.

Der Ansatz, einen Film ohne Dialoge zu erschaffen, ist schon faszinierend. Die einzigen gesprochenen Worte kommen hier über das Radio oder den Polizeifunk. Ansonsten herrscht Stille. Eine interessante Idee, aber auch eine, die vom Zuschauer sehr viel verlangt. Man soll an eine Welt glauben, in der nicht geredet wird. Brians Frau redet nicht mehr mit ihm, sie kommuniziert via SMS, im Polizeirevier herrscht Schweigen, alles ist Stille gewichen. Das wäre noch sinnvoller gewesen, wenn Brian sein Gehör, nicht aber seine Stimme verloren hätte. Man merkt schnell: Das ist ein Gimmick, der den Film über das erhöhen soll, was er eigentlich ist: eine 08/15-Rache-Geschichte.

Im Grunde wird hier die Geschichte von „The Punisher“ erzählt, und selbst die war nicht neu. Der Mangel an Dialogen macht es aber schwer, in die Geschichte hineinzufinden. Joel Kinnaman ist als Schauspieler gut genug, um auch ohne Stimme zu überzeugen, für alle anderen gilt dies aber nicht.

Ohnehin wird der Film zur zweiten Hälfte hin, nachdem man ausgiebig gesehen hat, wie Brian trainiert – Autofahren, Schießen, Kämpfen – zum reinen Actionboliden. Wenn er seinen Rachefeldzug startet, dann gibt es ohnehin keinen Raum mehr für Dialog. Es gibt schlicht nichts zu sagen, das Knallen der Gewehre und Pistolen ist dann alles, was noch zählt. Die Action ist gut umgesetzt, das kann man von einem John Woo aber auch erwarten. Der Mann hat in Hongkong immerhin die Filmströmung des Heroic Bloodshed begründet. Und doch: Die Dynamik, die Extravaganz, die kühne Idee seiner chinesischen Filme der 80er Jahre sucht man hier vergeblich. Weil die Dosierung fehlt. Zum Ende hin überschlägt sich die Action, lässt aber auch keinen Moment der Ruhe zu. Sie wird aber auch repetitiv und strapaziert die Geduld. Etwas, das leider für den ganzen Film gilt.

John Woos Rückkehr zum amerikanischen Film, 20 Jahre nach „Paycheck“, ist gut und solide, mehr aber auch nicht. Letztlich ist der Mann eines Opfers seines früheren Erfolgs. Wer „The Killer“, „A Better Tomorrow“ und „Hardboiled“ noch vor Augen hat, erwartet von Woo einfach mehr.

 

Peter Osteried