The Little Fugitive – Der kleine Ausreißer

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Manchmal bewirken kleine Filme die größten Wunder. Der Anfang der 50er Jahre in New York entstandene „The Little Fugitive“ ist definitiv so ein kleines, großes Kino-Wunder. Obwohl der Film nur einfach und geradlinig von einem Jungen erzählt, der zum New Yorker Rummelplatz „Coney Island“ ausbüxt und sich einigermaßen pfiffig mit Pfandflaschensammeln über Wasser hält, zieht er auch heute noch die Zuschauer in seinen Bann: Man fiebert mit dem kleinen Joey mit, drückt seinem Bruder Lennie, der ihn sucht, die Daumen und lacht herzlich über ihre kleinen Missgeschicke: Spannung, Humor und viel Emotion für das große und kleine Publikum.

Webseite: https://rapideyemovies.de/little-fugitive/

USA 1953
Regie: Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin
Drehbuch: Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin
Kamera: Morris Engel
Darsteller: Richy Andrusco, Richard Brewster, Winifred Cushing, Jay Williams

Dauer: 77 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Start: 21.12.2023

FILMKRITIK:

Joey ist ein liebenswerter, rotzfrecher kleiner New Yorker, der seinem älteren Bruder Lennie und dessen Freunden häufig auf den Zeiger geht, weil er immer mitspielen will. Als die Mutter der beiden Brüder überraschend verreisen muss, soll Lennie auf seinen Bruder aufpassen, doch das passt dem überhaupt nicht in den Kram. Lennie hat etwas ganz anderes im Sinn: ein Wochenende auf Coney Island. Für kleine Brüder ist da kein Platz. Um Joey loszuwerden, spielt er ihm einen ziemlich bösen Streich, doch am Ende ist es Joey, der sich mit dem Wirtschaftsgeld nach Coney Island absetzt. Und als er das ausgegeben hat, zeigt er eine erstaunliche Kreativität, um an frisches Geld zu kommen ...

Besonders bemerkenswert an „The Little Fugitive“ ist die unglaubliche Authentizität der Kinderdarsteller und der Respekt, mit dem sie von den Regisseuren eingefangen wird. Da ist dieser kleine Steppke, der sich voller kindlichem Selbstvertrauen die Welt erobert – und man erinnert sich lächelnd an die eigenen ersten Schritte hinaus ins Leben. Und wenn Lennie seiner Mutter, die ihm Verantwortungsbewusstsein beibiegen will, entgegnet: „Ich will nicht der Mann im Haus sein. Ich will nach Coney Island!“, fallen einem unwillkürlich ähnliche Momente aus der Kindheit ein.

Es sind aber nicht nur die kindlichen Darsteller, die „The Little Fugitive“ auch heute noch sehenswert machen, es sind auch die meisterhaft gestalteten, immersiven Schwarz-Weiß-Bilder, die das Publikum in die Geschichte hineinziehen. Sie waren für die fünfziger Jahre unglaublich innovativ. Dafür befestigte der Kameramann Morris Engel eine tragbare 35mm-Kamera in Nabelhöhe an seinem Körper. So konnte er Joeys Eskapaden „auf Augenhöhe“ einfangen. Dazu kommen sorgfältig komponierte Bilder vom Jahrmarkt und von den Stränden sowie die New Yorker Straßenszenen, denen man den fotografischen Background der Regisseure anmerkt.

Aus cineastischer Sicht stellt „The Little Fugitive“ den Brückenschlag zwischen Neorealismus und der „Nouvelle Vague“ dar. Kein geringerer als François Truffaut hat den Film als wichtigen Einfluss für seine Arbeit bezeichnet, ohne den die Nouvelle Vague niemals entstanden wäre.

Dieses kleine Meisterwerk kommt nun wieder auf die große Leinwand – eine gute Gelegenheit für ein schönes Kinoerlebnis, bei dem man sich königlich amüsieren kann. Nicht umsonst nannte das Time Magazine „The Little Fugitive“ einen der „lustigsten Filme, die je in den USA außerhalb Hollywoods produziert wurden“.

 

Gaby Sikorski