Baby to Go

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Die beste Science-Fiction erzählt nicht von der Zukunft, sondern von der Gegenwart. Sie denkt weiter, was momentan ist und sie setzt diese Gedanken in Korrelation mit dem, was sein könnte. Das wird häufig für dystopische Geschichten genutzt, Sophie Barthes‘ „The Pod Generation“ ist das aber nicht. Dies ist die Geschichte davon, wie die Zukunft des Kinderkriegens aussehen kann – und was dieser technologische Fortschritt für den Menschen bedeutet.

Website: https://splendid-film.de/kino

The Pod Generation
Großbritannien 2023
Regie: Sophie Barthes
Buch: Sophie Barthes
Darsteller: Emilia Clarke, Chiwetel Ejiofor, Vinette Robinson

Länge: 111 Minuten
Verleih: Splendid
Kinostart: 11.01.2024

FILMKRITIK:

Die nahe Zukunft: Rachel (Emilia Clarke) ist in ihrem Job sehr erfolgreich. Man befördert sie und bietet sogar an, finanziell zu helfen, wenn sie Mutter werden will. Denn in dieser Welt müssen Frauen nicht mehr schwanger werden, die Babys können in Pods wachsen, bis es Zeit ist, geboren zu werden. Ihrem Mann Alvy (Chiwetel Ejiofor) gefällt der Gedanke nicht besonders. Er hadert ohnehin mit der übertechnologisierten Welt, in der selbst für die einfachsten Pflanzen kein Platz mehr ist – ein Horror für den Botaniker, der immer wieder versucht, seinen Studenten ein Verständnis für das zu geben, was die Menschheit längst verloren hat: einen Bezug zur Natur.

Man könnte „The Pod Generation“ auch als eine überlange Folge der Netflix-Serie „Black Mirror“ sehen. Dort denkt man auch konsequent weiter, wie heutige Technologie in der Zukunft aussehen könnte. Sophie Barthes erkundet das nicht nur anhand des Pods. Sie baut auch andere Szenen in ihren Film ein. Etwa, wenn Verkäufern ein elektronischer Assistent zur Seite gestellt wird, weswegen die Frage aufkommt, ob sie dann nicht selbst redundant werden würden. „Fortschritt hat noch nie jemanden redundant gemacht“, erklärt die Vorgesetzte. Ein Moment, in dem man – ein bisschen bitterlich – lachen muss.

Der Film funktioniert aber auch in anderer Hinsicht. Immer wieder erkennt die K.I., wie es Rachel geht – und das nur aufgrund ihrer Stimmlage. Das ist eine Technik, die heute längst da ist, im Film aber natürlich perfektioniert daherkommt. Aber das große Thema ist die Fortpflanzung, die nicht revolutioniert, sondern technologisiert worden ist. Dass der Pod wie ein Ei aussieht, ist dabei gewollt.

Faszinierend ist aber, wie der Umgang mit dem Pod wirkt. Während Rachel Schwierigkeiten damit hat, eine Beziehung zu ihrem werdenden Kind aufzubauen, gelingt das Alvy gut. Er erlebt die Zeit der Schwangerschaft, wie es bislang nur Müttern vorbehalten war. In einer Szene spricht Rachels Freundin davon, dass Männer einen Uterus-Neid besitzen (als Gegenstück zum propagierten Penis-Neid der Frauen). Der Film greift das auf – subtil, aber gelungen. Denn Alvy erlebt die Schwangerschaft, wie es sonst nur eine Frau erleben konnte. Hier findet ein kompletter Rollentausch statt, den man aber auch nutzt, um die Frage danach zu stellen, was es in einer solch technologisierten Welt heißt, ein Mensch zu sein.

„The Pod Generation“ ist ein zurückhaltender Film. Leicht erzählt, unaufgeregt, immer wieder mit ein wenig witzig, was sich vor allem aus der Situation ergibt. Der Film ist im besten Sinne ein menschliches Drama, weil er eine zutiefst menschliche Geschichte erzählt, aber es schafft, eine frische Perspektive einzunehmen. Ein kleiner, wirklich feiner Film, der zum Nachdenken über den Platz des Menschen in einer Technokratie anregt.

 

Peter Osteried

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In einer nahen Zukunft: Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor) bewohnen ein exquisites Apartment in New York und sind sich über ihre Zukunft einig: Sie wollen eine Familie gründen. Als ein begehrter Platz in einem Kinderwunschzentrum frei wird, ergreift Rachel die Chance. Denn dort gibt es die Möglichkeit, unkompliziert und schmerzfrei ein Baby mittels eines technologisch fortschrittlichen Plastikeis („Pod“ genannt) außerhalb des eigenen Körpers auszutragen – inklusive Brutkasten mit digitaler Nabelschnur. Während Rachel, Managerin eines Tech-Konzerns, das Angebot des Geburtszentrums wahrnehmen will, ist Biologe Alvy weniger überzeugt. Er plädiert für eine natürliche Geburt. Am Ende gibt Alvy nach und bald entstehen durch diese neue, moderne Form der Geburt ungeahnte Probleme.

„Baby to go“ entwirft eine ebenso spannende und hochinteressante wie auch beängstigende Vision einer Zukunft, in der KI das Leben und den Alltag der Menschen bestimmt. Oder besser: dominiert und vorgibt. Denn smarte Apparaturen, digitale Assistenten und hochintelligente Programme sind derart fähig und auf eine Art weiterentwickelt, dass sie uns jeglichen Stress und alle (vermeidbaren) Unannehmlichkeiten abnehmen. So gibt es digitale Bäume und künstliche Pflanzen, die eine Fahrt ins Grüne obsolet machen. Und wenn man Bewohner beim Einatmen frischer Luft aus „Natur-Pods“, in denen Pflanzen herangezüchtet werden, sieht, wird deutlich: Der Kampf Technologie vs. Biologie ist in der Welt, die „Baby to go“ präsentiert, bereits entschieden.

Natürlich treibt Regisseurin Sophie Barthes bewusst und satirisch vieles auf die Spitze, aber ohne Übertreibung und Zuspitzung geht es in ihrer Sci-Fi-Dystopie nicht. Schließlich sind gewissermaßen die Vorläufer und ähnliche „technische Hilfsmittel“, wie wir sie in diesem Film sehen, bereits in unserer echten Welt existent. Barthes beweist daher Einfallsreichtum und große Sorgfalt bei der Ausstattung ihrer hyper-futuristischen filmischen Szenerie, wozu vor allem die vielen Tech-Details und kreativen Gadget-Ideen zählen. Zum Beispiel die KI-Therapeutin von Alvy und Rachel, die – mit gestrengem Tonfall – als überdimensioniertes digitales Auge über alles wacht. Und damit alles im Blick hat. Getreu dem Motto: „Big Brother is watching you.“ Eine schöne Anspielung auf die technologische Allmacht und Dauerüberwachungs-Mechanismen durch KI und Co.

Der Grundkonflikt und die Kernfrage des Films lauten, wie weiter oben bereits angedeutet: Löscht die moderne Technologie die Biologie (also die Natur) irgendwann komplett aus? Stellvertretend für diese beiden Welten und Glaubenssysteme stehen Rachel und Alvy. Clarke und Ejiofor machen ihre Sache als Hauptdarsteller gut. Schade ist nur, dass das Drehbuch bisweilen zu vorsichtig und zahm geraten ist. Und die ein oder andere Unglaubwürdigkeit bei der Charakterentwicklung aufweist. So lässt sich der Technik-kritische Naturliebhaber und Verfechter der natürlichen Schwangerschaft, Alvy, viel zu schnell von Rachels Wunsch nach einer „Pod“-Geburt überzeugen.

Im letzten Drittel tritt „Baby to go“ erzählerisch etwas auf der Stelle und es stellen sich Redundanzen ein. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die europäische Koproduktion neben der Technik-Natur-Prämisse noch einige weitere kluge, diskussionswürdige Themen anspricht. Und vielschichtige, gesellschaftlich relevante Fragen aufwirft. Es geht um den Kampf der Geschlechter, die Rolle von Mann und Frau, Kinderwunsch und Fruchtbarkeit sowie die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Karriere bzw. Beruf.

 

Björn Schneider