Cicero – Zwei Leben, eine Bühne

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Vor sechs Jahren starb Roger Cicero, der mit seinem leicht verdaulichen Swing-Jazz große Popularität erlangte. Ob er auch glücklich mit seinem musikalischen Weg war ist eine Frage, die Kai Wessel in seiner Dokumentation „Cicero – Zwei Leben, Eine Bühne“ immer wieder anreißt, eine Frage, die auch das Leben des Vaters Eugen prägte. Denn auch um ihn geht es in einem Film, der vor allem Fans der Musiker begeistern dürfte.

Website: https://www.weltkino.de/filme/cicero-zwei-leben-eine-buehne

Deutschland 2021
Regie: Kai Wessel
Buch: Katharina Rinderle, Kai Wessel
Dokumentarfilm
Länge: 112 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 24. März 2022

FILMKRITIK:

Ein viel zu frühes Ende fand der Musiker Roger Cicero 2016, ein Hirnschlag war es, ein geradezu zynischer Zufall: Denn knapp 20 Jahre zuvor, im Dezember 1997 war auch sein Vater Eugen Cicero an einem Hirnschlag gestorben. Während der Vater 57 wurde, wurde der Sohn nur 45.

Ein Doppelporträt ist nun Kai Wessels Film „Cicero“, zumindest im Ansatz. Anfang und Ende des Films beherrscht Roger, der zeitgenössische Musiker, der Sonnyboy, der schon in jungen Jahren durch seine markante Stimme auffiel, Jazzgesang studierte, dem langen Schatten des Vaters zu entkommen suchte, mit einer Swing spielenden Big Band große Erfolge feierte, aber bis zu seinem Tod immer noch nach sich selber suchte.

Freunde und Wegbegleiter, Manager und Komponisten beschreiben Roger Cicero, ja, verklären ihn größtenteils, wie das für das Genre des biographischen Dokumentarfilms die Regel ist. Eine Hagiographie ist „Cicero“ oft, zeichnet penibel, anhand von reichhaltigem Dokumentarmaterial, den Weg von Nachwuchsmusiker zum erfolgreichen Künstler nach, der auf dem Höhepunkt seines Erfolges zahlreiche goldene Schallplatten erhielt, große Hallen füllte und für Deutschland beim Eurovision Song Contest teilnahm.

Ganz vorsichtig deutet Kai Wessel schon hier an, das Cicero in jüngeren Jahren gerne etwas zu tief ins Glas schaute, möglicherweise auch den Verlockungen härterer Rauschmittel erlag, um so dem Erwartungsdruck standzuhalten, der nicht nur von Außen auf ihn drückte. Und hier beginnen die interessanten Parallelen zu Roger Ciceros Vater, die Wessel ebenfalls Anhand von Archivmaterial und Interviews mit Wegbegleitern andeutet: Als junger Mann kam Eugen aus Rumänien zunächst nach Ost-, dann nach Westdeutschland, war schnell ein erfolgreicher Pianist, der sich wie wenige Andere problemlos zwischen Klassik und Jazz bewegte. Doch die größten Erfolge feierte Eugen Cicero mit leichter Muse, als Teil des Paul Kuhn-Orchesters, mit Musik, die oft als Easy Listening abgetan wurde. Und auch Eugen trank in Phasen zu viel, versuchte sich an diversen Stilen aus und starb zu früh.

Andeutungsweise erzählt Wessel hier von zwei Musikern, die in ihren Feldern – als Pianist bzw. Sänger – mit großem Talent gesegnet waren, die von Freunden und Kollegen als großzügig und sympathisch geschildert werden, die aber stets ein wenig mit dem großen kommerziellen Erfolg zu hadern schienen. War es zu leichte Muse, mit der sie ihr Publikum fanden? Verrieten sie ihr Talent, indem sie es sich zu leicht machten? Ob diese Fragen sowohl Vater als auch Sohn Cicero wirklich umtrieben kann man nur ahnen. Denn Kai Wessel hat in seinem Dokumentarfilm die interessante Entscheidung getroffen, zwar sehr viele Interviews zu verwenden, aber keins mit den Ciceros. Wie sich Eugen bzw. Roger über ihr Leben und ihre Kunst geäußert haben, bleibt also offen. Nur durch den Blick und die Aussagen Dritter, zusätzlich durch den Abstand von Jahren oder Jahrzehnten verändert – vielleicht auch verklärt – blickt der Film auf Vater und Sohn. Welchen Eindruck man am Ende von Roger und Eugen Cicero mitnimmt, bleibt also ganz dem Zuschauer überlassen.

Michael Meyns