Ulzhan – Das vergessene Licht

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In die weiten Kasachstan hat es Volker Schlöndorff für seinen neuesten Film verschlagen. In grandiosen Bildern erzählt er von Charles, der seine Familie und mit ihr seinen Glauben ans Leben verloren hat. Es ist eine Art Road Movie zur Selbsterkenntnis, bisweilen etwas überladen mit politischen und gesellschaftlichen Themen, geprägt von seinen Bildern und den überzeugenden drei Hauptdarstellern.

Webseite: www.ulzhan.com

Deutschland, Frankreich, Kasachstan 2007
Regie: Volker Schlöndorff
Buch: Jean-Claude Carrière
Darsteller : Philippe Torreton, Ayanat Ksenbai, David Bennent
105 Minuten, Format 1 :2,35
Verleih: X Verleih
Kinostart: 6. Dezember 2007

PRESSESTIMMEN:

...ein dezenter Zauber, der sich nach und nach auch auf die Zuschauer überträgt.
Der Spiegel

...weitere Pressestimmen hier auf film-zeit.de

FILMKRITIK:

Ein Mann auf der Flucht. Schnell merkt man, dass Charles (Philippe Torreton) etwas antreibt, dass es da etwas gibt in seinem leben, dass er zu unterdrücken sucht. Kaum in Kasachstan angekommen, bricht sein Wagen zusammen und so geht er zu Fuß weiter. Jedes Hilfsangebot weist er unwirsch zurück, betrinkt sich, lässt sich willentlich bestehlen, wird verhaftet und hat kein Interesse, sich einen neuen Pass ausstellen zu lassen. Immer wieder sieht er ein Foto an, auf dem eine Frau und zwei kleine Kinder abgebildet sind. Dazu hört man einzelne Sätze einer Postkarte, die sich bald als letztes Zeichen seiner verunglückten Familie herausstellen. Charles will seinem Leben ein Ende setzen, will in den Bergen Kasachstan einen heiligen Ort erreichen, an dem sich Schamanen zu ihrer letzten Ruhe zurückgezogen haben. Auf dieser letzten Reise begegnet er verschiedensten Menschen, die ihn Facetten des traditionellen und des modernen Kasachstan erblicken lassen. Da ist der französische Botschaftsmitarbeiter, der in der seelenlosen Retortenhauptstadt lebt und vor allem die exotischen Frauen des Landes schätzt. Aber auch der reisende Händler Shakuni (David Bennent), der seltene Wörter verkauft und auch mal eine schamanische Geistervertreibung durchführt. Vor allem aber ist da die junge Ulzhan (Ayanat Ksenbai), die Charles ein Pferd verkauft und ihm auf seiner Reise folgt, ob er will oder nicht. Und eigentlich will Charles nicht. Eigentlich will er mit sich und seinem Leid allein sein und sich auf gar keinen Fall von seinen Reisegefährten von seinem Ziel abbringen lassen.
Ob er das Tut oder sich doch ins Leben zurückholen lässt bleibt offen. Schlöndorff erzählt die Geschichte Charles und seiner zarten Annährung zu Ulzhan in Elipsen, auf subtile Weise, in Bildern, meist ohne Worte. In anderer Hinsicht ist er dagegen weniger subtil. David Bennents Figur dient der Geschichte als fast allwissender Reiseführer. Mit ihm wird viel über die Geschichte Kasachastans erzählt, von den alten multireligiösen Traditionen, dem Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit, der russischen Besatzung, ihren Gulags und die Landschaft kontaminierenden Atombombentests, bis hin zur aktuellen Herrschaft eines autoritären Regimes. Diese Ebene, in der viel von der Kraft der Sprache die Rede ist, den unterschiedlichen Kulturen, die in dem zentralasiatischen Land lebten, es durchreisten oder eroberten, ist zwar fraglos interessant. Doch der Versuch, die scheinbar schlichte Geschichte von Charles und Ulzhan in den Kontext von etwas viel größerem, umfassenderen einzubetten, wird oft auf sehr offensichtliche Weise durchgeführt. Und so interessant die Figur des Händlers Shakuni eigentlich auch ist, David Bennent – der hier zum ersten Mal seit der „Blechtrommel“ wieder mit Schlöndorff arbeitet – ist nun mal ein Theaterschauspieler. Und das merkt man in jedem Moment. Seine expressive Art stößt sich des Öfteren mit dem verschlossenen, introvertierten Charakter Charles, dessen Gefühlsregungen kaum wahrnehmbar sind.

Doch sei’s drum. Mit „Ulzhan – Das vergessene Licht“ ist Volker Schlöndorff ein weiterer eindrucksvoller Film gelungen. Unbeeindruckt von Entwicklungen wie der „Berliner Schule“ dreht der inzwischen 68jährige Regisseur mit schöner Regelmäßigkeit interessante Filme, die gerade in visueller Hinsicht von der Erfahrung einer 40jährigen Karriere zeugen.

Michael Meyns

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Charles hat seine Familie verloren, und nun will auch er nicht mehr leben. Er will weg, frei sein von allem, allein sein, im Grunde sterben. Wo? Er wählt Kasachstan aus, ein endloses Steppenland mit dem heiligen Berg Khan Tengri an der Grenze zu China, wohin die Schamanen sich früher zurückzogen, wenn ihr Leben sich dem Ende näherte.

Charles’ letzte Reise läuft nicht glatt ab. Gleich nach der Ankunft in Kasachstan wird er in einer Bar bestohlen, dann festgenommen und nach Astana, die futuristische neue Hauptstadt, verbracht, weil er keine Papiere mehr besitzt und man ihn für einen Industriespion hält.

Aber auch Gutes widerfährt ihm. Er trifft auf Ulzhan, eine schöne Nomadin, die ihm ein Pferd verkauft – und ihn nicht mehr loslässt. Charles wandert tagelang durch die unwirtliche, lebensfeindliche Steppe, will niemanden um sich haben. Aber man spürt trotz aller zeitweiligen Trennungen und Hindernisse, dass Charles und Ulzhan irgendwie schicksalhaft zusammengehören.

Er trifft auch auf Shakuni, einen kleingestaltigen Kerl, halb Vagabund, halb Schamane, der etwas ganz Spezielles verkauft, nämlich seltene, tiefsinnige, zum Teil aus dem Sanskrit stammende Wörter. Shakuni führt Charles in die Geheimnisse der Steppe ein. Er bringt ihn zu Orten, die schicksalsbeladen sind: wo früher Gulags waren, wo einige hundert Atombombenexplosionen stattfanden, wo heute die Maschinen der aufgelassenen Kolchosen und Sowchosen verrotten, wo sich auch urzeitliche Gräber befinden.

Das ist eines der Hauptthemen dieses Films von Jean-Claude Carrière und Volker Schlöndorff: Die triste Außenwelt passt zur Innenwelt dieses verzweifelten Menschen, der sie durchquert – und durch sie auch in gewisser Weise geheilt wird. Es ist, so wird gesagt, gerade die Zerstörung um ihn herum, die ihn wieder zum Leben ermutigt.

Am heiligen Berg angekommen, scheint Ulzhan Charles sich selbst zu überlassen. Aber das ist ganz und gar nicht sicher.

Ein Film über Ruhelosigkeit, Einsamkeit und Schmerz. Ein Film über einen Menschen, der durch die – fast - selbstlose Hilfe einer Frau noch einmal zu sich selbst finden, vielleicht sogar vom Tode gerettet werden kann. In einer trostlosen Landschaft spielend, aber lyrisch, elegisch, künstlerisch beachtlich und menschlich berührend.

Thomas Engel