Abigail

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Kinder können ganz schön wehrhaft sein, wie uns das Kino gerne lehrt. Man denke etwa an den Weihnachtsklassiker „Kevin – Allein zu Haus“ (1990) oder den Actionreißer „Becky“ (2020), in dem „King of Queens“-Star Kevin James als Nazigangster handfeste Probleme mit einer aufmüpfigen Teenagerin bekommt. Auch der Horrorstreifen „Abigail“ greift zurück auf die Idee eines vermeintlich harmlosen Kindes, das im Angesicht von Bedrohung seine brutale Seite zeigt – mehr noch: sein wahres Ich. Was folgt, sind komödiantisch aufgeladene Blutfontänen.

Webseite: https://www.upig.de/micro/abigail

USA 2024
Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett
Drehbuch: Guy Busick, Stephen Shields
Darsteller: Alisha Weir, Mellisa Barrera, Kathryn Newton, Dan Stevens, Kevin Durand, Angus Cloud, William Catlett, Giancarlo Esposito, Matthew Goode

Länge: 109 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Universal Pictures Germany

FILMKRITIK:

Das Wichtigste vorweg: Ein zentraler Twist wird in dieser Kritik nicht umschifft, sondern direkt angesprochen, da selbst der Verleih und seine Marketingstrategen ihn offen vor sich hertragen. Bereits das Kinoplakat deutet die Wendung an, mit der der offizielle Trailer hausieren geht. Eine seltsame Entscheidung, wenn man bedenkt, dass sich der fertige Film fast eine Dreiviertelstunde Zeit nimmt, um seine Überraschung im Verschleierungsmodus vorzubereiten.

Wie dem auch sei, „Abigail“ startet als Entführungsthriller klassischen Zuschnitts. Sechs Kriminelle, die sich nie zuvor begegnet sind und für den Coup von ihrem Auftraggeber (Giancarlo Esposito) die Namen einiger Mitglieder der Entertainer-Truppe „The Rat Pack“ erhalten, entführen die zwölfjährige Titelfigur (Alisha Weir) nach dem Balletttraining aus der Villa ihres schwerreichen Vaters und verschleppen sie in ein einsam gelegenes Herrenhaus. Dort sollen sie das Mädchen 24 Stunden lang bewachen und können anschließend ihre fette Beute einstreichen.

So weit, so einfach. Zu einem Problem wird das Ganze jedoch, als Joey (Melissa Barrera), Sammy (Kathryn Newton), Frank (Dan Stevens), Dean (der 2023 verstorbene Angus Cloud), Rickles (William Catlett) und Peter (Kevin Durand) begreifen, wen sie da gekidnappt haben. Abigail ist keine brave Ballerina, sondern eine blutrünstige Vampirin, die ihre Bewacher nun langsam dezimiert.

Die Handlung fast ausschließlich begrenzt auf ein geräumiges Anwesen, eine ungeahnt hervorbrechende Gefahr, der Schwenk ins Übernatürliche und knallige Splatter-Effekte – vieles in „Abigail“ erinnert an den Spaßschocker „Ready or Not – Auf die Plätze, fertig, tot“ (2019). Nicht von ungefähr! Denn in beiden Fällen saßen Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett, die auch als Radio Silence bekannt sind, auf dem Regiestuhl.

Hier wie dort erweist sich vor allem das Setting als wirkungsvolle Spielwiese für deftige Entgleisungen. Das ausladend-verwinkelte, mit kuriosem Inventar vollgestopfte Gebäude von „Abigail“, das in durchgehend schummriges Licht getaucht ist, macht stimmungstechnisch einiges her. Erst recht, wenn auf einmal alle Ausgänge versperrt sind. Die Verbrecher sitzen in der Falle, müssen in die Offensive gehen, wollen sie irgendwie lebend aus der Sache rauskommen.

Erstaunliches leistet auch Nachwuchsdarstellerin Alisha Weir, die die völlig unterschiedlichen Seiten der titelgebenden Antagonistin überzeugend in den Kinosaal transportiert. Ob als verängstigtes Opfer oder als wild tänzelnde, Sarkasmus versprühende Vampirballerina – Weir haucht ihrer Rolle Leben ein, obwohl das Drehbuch die Figur sicher noch interessanter hätte gestalten können. Keine Schuld trifft die junge Schauspielerin, dass manche Szenen, in denen Abigail zum Erklärbären mutiert, eher dröge ausfallen.

Die absurde Eskalationsspirale des mit kompetenten Spezialeffekten aufwartenden Films macht in manchen Passagen Laune. Wiederholt versuchen die Macher aber auch, krampfhaft lustig zu sein. Metawitze über Vampire und die Unbeholfenheit einiger Entführer taugen, so wie dargeboten, leider nicht, um die Lachmuskeln richtig anzuregen. Was den Unterhaltungswert zudem schmälert: Dass bei allem bluttriefenden Chaos vieles durchschaubar bleibt. Zu schematisch sind die stereotypen Möchtegerngangster entworfen. Zu offensichtlich ist, wer es bis ins Finale schafft. Auch in einem deftigen B-Movie darf man Klischees etwas häufiger unterlaufen. Genau darin besteht ein besonderer Reiz. Frei nach dem Motto: Gib den Zuschauern das, was sie verlangen, aber nicht so, wie sie es erwarten.

Das zwei, drei Wendungen aufbietende Schlussdrittel zieht sich etwas in die Länge, bereitet den Boden für eine mögliche Fortsetzung und will vermutlich einen Bezugspunkt des Films ein wenig hervorheben. „Abigail“ soll nämlich eine Art Neuinterpretation des ebenfalls von Universal auf den Weg gebrachten Uraltschauerstücks „Draculas Tochter“ (1936) sein. Klingt gut, ist aber unter dem Strich nicht wirklich spürbar.

 

Christopher Diekhaus