Huhn mit Pflaumen

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Nach dem großen Erfolg des Animationsfilms „Persepolis“ versucht sich das Regieduo Vincent Paronnaud und Marjane Satrapi nun an einem märchenhaften Realfilm. Erzählt wird die Geschichte einer tragischen Liebe, die in vielerlei Hinsicht eine Art „Amelie“ für Erwachsene ist, mit einer ganzen Riege bekannter französischer Darsteller aufwartet und über weite Strecken eher stilistisch als emotional beeindruckt.

Webseite: www.huhn-mit-pflaumen.de

POULET AUX PRUNES
Frankreich 2011
Regie, Buch: Vincent Paronnaud und Marjane Satrapi
Darsteller: Mathieu Amalric, Maria de Medeiros, Golshifteh Farahani, Edouard Baer, Isabella Rossellini, Chiara Mastroianni
Länge: 91 Minuten
Verleih: Prokino
Kinostart: 5.1.2012

PRESSESTIMMEN:

Ein wunderbares, surreales Melodram... "Huhn mit Pflaumen" nimmt uns mit auf eine Reise nach Teheran in der Schah-Zeit, und und der Film sieht aus wie das Kino jener Zeit, die sich Satrapi hier ausmalt - und fühlt sich auch so an: wie ein Douglas-Sirk-Melo auf persisch, mit einem surrealen Touch, geheimnisvollen Antiquitätenhändlern, Todesengeln und ziemlich viel schwarzem Humor. Vielleicht sogar wie eine Sirk-Fassung der "fabelhaften Welt der Amélie", voller kleiner Vignetten und Ideen.
Süddeutsche Zeitung

FILMKRITIK:

Ganz neue Wege ist das Regie-Duo Vincent Paronnaud und Marjane Satrapi mit ihrem zweiten gemeinsamen Film nicht gegangen, gleichzeitig hat man aber auch eine bloße Wiederholung des Erfolgsfilms „Persepolis“ tunlichst vermeiden wollen. „Huhn mit Pflaumen“ basiert erneut auf einem Comic von Satrapi, die Umsetzung jedoch ist ein Realfilm, der allerdings immer wieder Stilmittel des Animationskinos verwendet. Denn was Satrapi und Paronnaud hier anstreben, ist eine deutlich von den traditionellen persischen Märchen aus 1001 Nacht inspirierte Geschichte zu erzählen, inklusive phantastischer Elemente und melodramatischer Emotionen.

Schauplatz ist das Teheran von 1958, wo der weltberühmte Violinist Nasser Ali Khan (Mathieu Amalric) beschließt zu sterben. Vordergründig weil seine Ehefrau Faranguisse (Maria de Medeiros) im Streit seine Geige zerstört hat, in Wirklichkeit aus einem ganzen Geflecht aus Gründen, die den einst lebensfrohen jungen Mann zum melancholischen Lebensmüden geformt haben. Das Nasser in acht Tagen den Tod finden wird steht am Anfang des Films fest, bis es aber soweit ist, wird in einem komplexen Geflecht aus Vor- und Rückblenden sehr viel erzählt. Stilistisch erinnern diese Momente deutlich an die Erzählweise, die man aus „Amelie“ kennt: Prägnante Bilder, fast Tableaus, formen visuelle Fragmente, die durch eine allwissende, leicht ironische Erzählerstimme zusammengehalten werden. Auf diese Weise wird etwa in wenigen Sekunden das Schicksal von Nassers Kindern angerissen, von den diversen Tötungsmethoden berichtet, die Nassar aus unterschiedlichen Gründen verwirft, hat Isabella Rossellini einen kurzen Auftritt als Nassars Mutter, führt dieser Zwiegespräche mit dem Todesengel Azrael. Vor allem aber wird von Nassars großer, unerfüllter Liebe zu der schönen Irâne (Golshifteh Farahani) berichtet, die der junge Student einst liebte, aber nicht heiraten durfte.

Dass diese große Liebe heißt wie das Land in dem der Film spielt und das Satrapi vor dem Ausbruch der Revolution Ende der 70er Jahre verlassen musste, ist natürlich kein Zufall. Die allegorische Dimension der Geschichte liegt auf der Hand: Der sensible Künstler, der durch die politischen Unruhen auf sein Glück verzichten musste und sich nur in seiner Kunst ausleben konnte, schließlich aber am sozialen, moralischen Verfall eines Landes verzweifelt und freiwillig aus dem Leben scheidet. Mehr als angedeutet wird diese spannende Ebene allerdings nicht, und sie wird zusätzlich dadurch in den Hintergrund gedrängt, dass Satrapi ihr eigenes Comic aus kommerziellen Erwägungen erheblich verwestlicht hat. So gern man einen großen Schauspieler wie Mathieu Amalric auch sieht, als Iraner geht er ebenso wenig durch wie die meisten anderen Akteure. Auch das er die eher westliche Geige spielt und nicht die Tar, eine traditionelle iranische Laute, trägt dazu bei, dass der Film zu einer nicht immer überzeugenden Mischung aus östlichen und westlichen Elementen wird.

So ist es über weite Strecken der originelle Stil, der bis zum sehr überzeugenden, emotionalen Finale trägt. Paronnaud und Satrapi scheuen sich nicht, Stilelemente aus dem Realfilm mit deutlich erkennbaren Trickelementen wie gemalten Hintergründen, falschen Perspektiven oder im Computer erzeugten Effekten wie markanten Schneeflocken oder Rauchschwaden zu verknüpfen. In den besten Momenten wirkt „Huhn mit Pflaumen“ so tatsächlich wie ein phantasievoller Märchenfilm für Erwachsene, der mit zunehmender Dauer, je mehr er sich auf die tragische Liebesgeschichte konzentriert, die das Zentrum seiner Erzählung bildet, auch zu der emotionalen Größe findet, die ihm am Anfang fehlt.

Michael Meyns

Nasser-Ali lebt für die Musik. Er ist ein Meister der Geige. Zwar ist er verheiratet und hat zwei reizende Kinder, doch die Frau, die sein Dasein teilt, ist nicht die Frau, die er liebt. Verständnislosigkeit und Streit sind programmiert, ja seine Ehefrau zerstört sogar die über alles geliebte Violine. Nasser-Alis Leben scheint keinen Sinn mehr zu haben.

Die wunderschöne Irâne wäre es gewesen, die er sich als Lebenspartnerin gewünscht hätte. Aber deren Vater wollte keinen „brotlosen Künstler“. Fortan ist beider Existenz von Traurigkeit erfüllt.

Nasser-Ali will nicht mehr leben. Er zieht sich zurück, nimmt keine Nahrung mehr auf, weist alles und alle von sich ab, gibt sich nur noch einige Tage.

Er blickt auf sein Leben zurück: auf die Suche nach einem neuen Instrument; seine Hochzeit; die Zeit mit den Kindern; die Gegensätze zwischen ihm und seiner Ehefrau; die Konzertreisen, auf denen er gefeiert wurde; den ersten Blick auf die schöne Irâne; ihre liebevolle Erwiderung; das Machtwort des Vaters; Irânes Hochzeit mit einem Offizier, die er aus der Ferne beobachtet; den Tod seiner Mutter; nach Jahren die Wiederbegegnung mit Irâne, die bereits Großmutter geworden ist, ihn nicht zu kennen vorgibt, aber danach bitterlich weint.

Ein melancholisches Melodram – aber was für eines! Es ist im positiven Sinne „altmodisch“, weist kurze wunderschöne Szenen auf, ist voller immer wieder neuen Einfällen, Farben und (iranischem) Dekor. Inszenierung und Montage lassen nichts zu wünschen übrig.

Mathieu Amalric (Nasser-Ali), Isabella Rosselini (Nasser-Alis Mutter) oder Chiara Mastroianni (Irâne) spielen die Protagonisten – ein bestimmter Hinweis auf künstlerische Qualität. Vor allem Mathieu Amalric („Schmetterling und Taucherglocke“) ist wieder Spitze.

In Venedig (2011) kam der Film überaus gut an.

Thomas Engel