Anonymus

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Roland Emmerich und William Shakespeare. Fraglos keine Verbindung die auf der Hand liegt. Und dennoch gelingt dem deutschen Regisseur, der vor allem für bildgewaltige Orgien der Zerstörung bekannt ist, mit „Anonymous“ ein über weite Strecken gelungener Historienfilm über die Frage, ob Shakespeare wirklich der Autor der weltberühmten Stücke war.

Webseite: www.anonymus-film.de

Anonymous
USA 2011
Regie: Roland Emmerich
Buch: John Orloff
Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Joely Richardson, David Thewlis, Derek Jacobi, Xavier Samuel, Rafe Spall
Länge: 131 Minuten
Verleih: Sony
Kinostart: 3. November 2011

PRESSESTIMMEN:

Ein spannendes und bewegendes Königsdrama... Kurzweilig und glänzend gespielt...
DER SPIEGEL

"Anonymous" gehört mit zum Interessantesten, was in diesem Herbst im Kino zu sehen ist, und zwar trotz gewissen formalen Mängeln. Etwa Nachlässigkeit hinsichtlich der Einführung des umfangreichen Personals, was zu Verwirrung bei jenen Teilen des Publikums führt, die sich mit Elizabeths Zeit und Regentschaft wenig auskennen und sich womöglich auch nicht weiter damit befassen möchten – eine weitere Hürde für den ganz grossen Publikumserfolg. Für diesen spricht jedoch, wie virtuos der Regisseur auch diesmal die visuelle Überwältigung betreibt: "Anonymous", der das elisabethanische London mit all seinem Schmutz und seiner Düsternis, aber auch seiner faszinierenden Theaterwelt aufs Eindrücklichste am Computer wiederauferstehen lässt, ist ein wahres Schaufest.
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Emmerich hat einen historischen, verschachtelten Krimi inszeniert. Eröffnet wird "Anonymus" mit einem am New Yorker Broadway von heute vorgetragenen Monolog über den Stratford-Barden, dann geht es in die historische Vergangenheit. Das berühmte Globe Theatre brennt, ein junger Mann namens Ben Jonson (Sebastian Armesto) rettet in letzter Sekunde geheimnisvolle Manuskripte aus den Flammen. Der virtuos und temporeich inszenierten Actionszene folgt ein vielschichtiges Verwirrspiel, das in Zeit und Raum hin und her springt und sich einem Puzzle gleich Stück für Stück vervollständigt. Es geht um Fakt und Fälschung, dunkle Verschwörungen und randalierenden Pöbel, Liebe und Inzest und natürlich um Kunst und Politik. Emmerichs größter Trumpf sind seine vorzüglichen Schauspieler, allen voran Rhys Ifans... Die solide, opulente Inszenierung lässt den Zuschauer bald die tatsächlich längst widerlegte "Edward-de-Vere-Shakespeare-Verschwörung" vergessen. Man taucht vielmehr ein in den politisch-literarischen Machtkampf, und der fasziniert. "Anonymus" ist in Babelsberg für 30 Millionen Euro entstanden. Es ist Regisseur Emmerichs bislang bester Film.
ARD

FILMKRITIK:

Die orthodoxe Version ist einfach: Der Schauspieler William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon begann Ende des 16. Jahrhunderts Stücke zu verfassen, die zu den herausragendsten Werken der Weltliteratur zählen. Dummerweise gibt es keinerlei Beleg dafür, dass dieser Shakespeare schreiben konnte, dass er jemals eine Schule besucht hat, dass er auch nur ein Buch besaß. Diese Diskrepanz ließ schon bald nach dem Tod des Schauspielers Shakespeare im Jahre 1616 Gerüchte aufkommen, dass ein anderer der eigentliche Autor war. Im Laufe der Zeit wurden viele Kandidaten genannt, von zeitgenössischen Dramatikern wie Ben Jonson und Christopher Marlowe, bis zu Königin Elizabeth selbst. Der glaubwürdigste alternative Autor ist jedoch Edward de Vere, der Earl of Oxford von dessen Autorenschaft zum Beispiel Mark Twain, Sigmund Freud, Orson Welles aber auch berühmte Schauspieler wie John Gielgud oder Derek Jacobi überzeugt sind.
Es ist also kein Zufall, dass Roland Emmerichs „Anonymous“ im heutigen New York mit einem Auftritt eben jenes Derek Jacobis beginnt. Allein auf einer Bühne am Broadway stehend beschreibt er das Dilemma der unklaren Autorenschaft, um das sich der dann folgende Film dreht. Der also von Anfang an klar macht, dass es sich nicht um historische Tatsachen handelt, sondern um eine Möglichkeit, eine so-könnte-es-gewesen-sein-Geschichte.

Und über weite Strecken ist das, was Emmerich und sein Drehbuchautor John Orloff erzählen durchaus glaubwürdig – bis dann im letzten Drittel jede Logik über Bord geschmissen wird, und „Anonymous“ sich zur bizarren Kolportage voller Inzest und Verschwörungstheorien wandelt. Was es Historikern und orthodoxen Shakespeare-Forschern leicht machen wird, den Film in der Luft zu zerreißen und zu ignorieren, was Emmerich vorher erzählt hat. Da zeigt er Rhys Ifans als melancholischen Earl of Oxford, der versucht, sich dem Intrigenspiel des elisabethanischen Englands zu entziehen. Doch seine Freundschaft zu den Grafen Southampton und Essex, vor allem aber sein inniges Verhältnis zu Königen Elizabeth (als alte Frau gespielt von Vanessa Redgrave, als junge Schönheit von deren Tochter Joely Richardson) ziehen Oxford immer wieder in die Ranküne. Er beginnt seine schriftstellerische Leidenschaft für politische Zwecke zu benutzen, doch dafür braucht er eine Fassade. Denn das Theater ist dem Pöbel vorbehalten, für einen Adligen wäre es undenkbar, Stücke zu veröffentlichen. Und so kommt über Umwege der hier als tollpatschiger Säufer dargestellte Schauspieler Will Shakespeare (Rafe Spall) in den Genuss, als Autor von „Hamlet“, „Macbeth“, „Richard III“ und all den anderen Stücke berühmt und vor allem reich zu werden.

Oxford dagegen bleibt im Schatten, muss ansehen, wie ein anderer seinen Applaus entgegennimmt, während er selbst nicht aus den Fesseln seiner Herkunft kann. Dieses tragische Schicksal ist das eigentliche Herz des Films, das dank einer nuancierten Darstellung des sonst oft eher klamaukigen Rhys Ifans auch gegen die Schauwerte und Kolportage-Elemente bestehen kann.

Die Wahrheit über Shakespeare und die Frage der Autorenschaft hat Roland Emmerich hier mit ziemlicher Sicherheit nicht erzählt. Aber ein unterhaltsamer, teils sehr pfiffiger Film ist „Anonymous“ allemal geworden. Und wenn er dazu führt, ein neues Publikum an die Werke Shakespeare heranzuführen – umso besser. Denn wer auch immer sie geschrieben hat, an ihrer umwerfenden Qualität ändert diese Frage rein gar nichts.

Michael Meyns

Shakespeare, in der Literatur wahrlich ein großer Name. Doch immer wieder gab es Zweifel an der Autorschaft. War Shakespeare gar nicht der Autor von über 30 berühmten Dramen? War es ein anderer? Waren es mehrere?

Es gibt zwei Schulen. Die einen stehen fest zu ihm – da seien nämlich triftige Gründe und Anhaltspunkte, die seine Person bestätigen.

Jedoch immer größer wird die Gruppe der Zweifler. Keine stichhaltigen Dokumente, führen diese ins Feld, keine Reisen, aus denen der Schriftsteller seine Kenntnisse beispielsweise über die in den Dramen vorkommenden italienischen Städte hätte schöpfen können. So geht es hin und her.

Diesen unsicheren Sachverhalt nahmen Roland Emmerich und seine Autoren zum Anlass, historisch einmal tüchtig zu spekulieren. In Emmerichs Film geht es im Grunde um zwei Dinge: um drei Männer, die die Shakespeare-Rolle ausfüllen, und um das Elisabethanische Zeitalter und da in erster Linie um die Frage, wer Elisabeth auf den Thron zu folgen habe.

Die drei sind Edward de Vere, Earl of Oxford. Er gilt im Film als Autor. Da aber adelig und zweitweise der Geliebte der Königin (mit einem Sohn der beiden) war ausgeschlossen, dass er als Stückeschreiber würde auftreten können. Er bedurfte eines Strohmanns, und das war ein gewisser Ben Johnson. Eine günstige Gelegenheit nützend eignete aber William Shakespeare sich die Autorschaft an – eine Art Usurpator also.

Dann der Königshof: die schon älter gewordene Elisabeth I., Tochter Heinrichs VIII. (von keiner Geringeren als Vanessa Redgrave dargestellt), die sich um ihren Nachfolger sorgen muss; der adelige Pomp; das steife Zeremoniell; die Konkurrenten; die Intrigen; das Versteckspiel zwischen Elisabeth und dem Earl of Oxford; der eine oder andere Todesfall. So scheint es eben damals gewesen zu sein.

Roland Emmerich hat mehr digitale Erfahrung als viele andere. Deshalb wirken auch die locations, die Massenszenen, die Straßen und Gassen, die Bauten, das Leben im Palast, die damaligen emporebestückten runden Holztheater, das „Old England“ ganz schön echt – wie immer bei Emmerich eine routinierte Regieleistung.

Die Schauspieler geben ihr Bestes, insbesondere Rhys Ifans als Edward de Vere sowie David Thewlis in der Rolle des William Cecil.

Um zum Filmthema Shakespeare To be or not to be zurückzukehren: die Spekulationen, die Hypothesen, die Zweifel bleiben – doch es bleibt hier auch die gute Unterhaltung.

Thomas Engel