Das Mädchen Wadjda

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Dass er überhaupt existiert, grenzt an ein Wunder: „Das Mädchen Wadjda“ ist nicht nur der erste offizielle in Saudi-Arabien gedrehte Film, Regie führte mit Haifaa Al Mansour auch noch eine Frau. Die Produktion wurde von der deutschen Razor Film ermöglicht, die schon andere Filme aus dem Nahen Osten koproduzierte, unter anderem „Paradise Now“ und „Waltz with Bashir“. Mit großer Abgeklärtheit und aufregend eigenständig erzählt Al Mansour die Geschichte einer mutigen Zehnjährigen in Riad.

Webseite: www.wadjda-film.de

Saudi-Arabien/Deutschland 2012
Originaltitel: Wadjda
Regie und Buch: Haifaa Al Mansour
Darsteller: Waad Mohammed, Reem Abdullah, Abdullrahman Al Gohani, Ahd, Sultan Al Assaf
Länge: 97 Minuten
Verleih: Koch Media, Vertrieb: Neue Visionen
Kinostart: 5. September 2013

PRESSESTIMMEN:

Ein kleines Filmwunder aus einem Land, in dem es keine Kinos gibt, und dessen Authentizität faszinierend und schockierend zugleich ist.
Cinema

Eine starke Geschichte, die ‘Das Mädchen Wadjda’ erzählt, mit einer großartigen jungen Hauptdarstellerin, in einer klaren, zurückhaltend poetischen Bildersprache.
Süddeutsche Zeitung

Ein herzerwärmender, mutiger Film, die spannende Innenansicht einer Welt, in der Frauen sonst unsichtbar sind.
Aspekte - ZDF

"Ein charmanter, handwerklich makelloser Film über die Stellung der Frau in einer streng islamischen Gesellschaft. Gedreht von einer Frau, in einem Land, in dem es keine Filme und keine Kinos gibt und auch dieser Film nicht gezeigt werden kann."
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Wadjda ist anders als ihre Mitschülerinnen: Sie geht mit leuchtend roten Turnschuhen in die Schule, hört zuhause westliche Popmusik und lässt sich ihre eigenen Ansichten nicht verbieten. Sehnlich wünscht sie sich ein Fahrrad, um ihren Freund Abdullah bei einem Rennen zu besiegen. Das Geld versucht sie mit selbst geflochtenen Armbändern zu verdienen, mit denen sie heimlich an der Schule handelt. Aber Wadjdas Plan scheitert nicht nur daran, dass sie dabei entdeckt wird. In Saudi-Arabien dürfen Mädchen nicht Fahrradfahren – eines der vielen Verbote, die Wadjdas Alltag einschränken. Deshalb will ihre Mutter sie von ihrem Plan abbringen. Außerdem hat sie mit sich selbst zu tun, denn ihr Mann will sich eine Zweitfrau nehmen. Dennoch gibt Wadjda nicht auf. Sie nimmt an einem Koranwettbewerb teil, um mit dem Preisgeld doch noch in den Besitz des Fahrrads zu kommen.

Aus westlicher Perspektive unvorstellbar: Seit den 1970er-Jahren gibt es in ganz Saudi-Arabien kein einziges Kino mehr. Religiöse Hardliner verhindern immer wieder jeden Versuch, eines zu eröffnen. In ihren Augen ist jede Form von Kultur Sünde. Obwohl die Lebenswelten hier und dort also unterschiedlicher nicht sein könnten, gelingt es Haifaa Al Mansour, deren Fim sich offenbar an westliche Zuschauer richtet, ganz leicht, die Kluft zu überbrücken. Und dass, obwohl sie keine Zugeständnisse macht und ihre Geschichte aus einer Binnenperspektive erzählt, ohne viel zu erklären. Als Türöffner in die fremde Welt der Frauen in Saudi-Arabien dient die Figur der Wadjda, ungeheuer präsent und lebendig gespielt von der zwölfjährigen Waad Mohammed.

Es ist Wadjdas quirlige, lebensfrohe und im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch rebellische Sicht, die den Film zunächst prägt. Nur langsam öffnet Haifaa Al Mansour den Blick und macht umso deutlicher, in welch prekärer Lage die Frauen in ihrem Land leben. So wird erst spät klar, warum Wadjdas Mutter unbedingt einen Fahrer benötigt, der sie zur Arbeit bringt: allein dürfen Frauen nicht auf die Straße. In der Schule gilt es schon als Schandtat, wenn Mädchen sich die Fingernägel lackieren. Immer und überall müssen sie sich dem Blick der Männer entziehen und werden in der Pause vom Schulhof gerufen, wenn Bauarbeiter von einem Gerüst aus über die hohen Mauern blicken können. Mit zunehmender Spieldauer wird immer deutlicher, dass diese Frauen und Mädchen in einem Gefängnis leben, das ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Umso bewundernswerter ist, wie es Al Mansour gelingt, trotzdem einen leisen Optimismus zu verbreiten, ohne jemals ihre Position der Beobachterin aufzugeben. Ihre Wadjda ist keine Heldin, sondern ein ganz normales Mädchen mit einem eigenen Kopf. Eines der Mädchen, von denen sie hofft, dass sie Saudi-Arabien verändern werden.

Oliver Kaever

Saudi Arabien. Ein Islam-Land wie aus dem Bilderbuch. Könnte man meinen. Das bedeutet, dass die Religion mit voller Frömmigkeit und Strenge ausgeübt wird. Das bedeutet aber auch, dass viele Einschränkungen vor allem für die Frauen das Leben zur Tortur machen können.

Wadjda ist jung, geht noch zur Schule. Ihre Mutter ist eine schöne, notgedrungen unterwürfige Frau; trotzdem nimmt der Mann, Wadjdas Vater, der das Kind sehr liebt, eine Zweitfrau. Die Traurigkeit der Mutter ist groß. Aber Polygamie ist im Islam eben keine Seltenheit.

Das Mädchen ist hübsch und aufgeweckt. Für die Frauen, auch für die jungen Mädchen, herrschen indes Regeln und Vorschriften, die man im Westen nicht für möglich hält: in der Öffentlichkeit Vollschleier tragen; Männer keine Frauenstimmen hören lassen; Männern sich möglichst nicht zeigen; keine kosmetischen Mittel anwenden; nicht Fahrrad fahren; kein Auto steuern, usw.

Wadjda hätte so gerne ein Fahrrad. Fleißig lernt sie Koran-Suren auswendig, um an der Schule einen Wettbewerb zu gewinnen. Sie wird tatsächlich Siegerin, doch als sie sagt, dass sie das gewonnene Geld für den Kauf eines Fahrrads braucht, wird es ihr abgenommen. Es geht als Spende nach Palästina.

Schließlich ist es die Mutter, die die gesellschaftlichen Grenzen sprengt und Wadjda ein Fahrrad schenkt. Endlich ein glückliches Kind.

Ein sehr schöner Film. Das staatlich verordnete Ambiente ist hundertprozentig getroffen, die Regie von Haifaa Al Mansour äußerst subtil. Gespielt wird von den beiden Frauen, Reem Abdullah als Mutter und Waad Mohammed als Wadjda, absolut fabelhaft.

Das Hauptthema: Wie nötig es ist, die fehlende Emanzipation der arabischen Frau aufzuzeigen und wo immer möglich – wie beispielsweise mit einem Film wie diesem - dazu beizutragen, dass sie eines Tages verwirklicht wird.

Thomas Engel