Grenzgänger

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Das kleine Österreich ist immer wieder für gelungene Kino-Coups gut. Es muss nicht immer Haneke und Seidl sein, auch Florian Flicker („Der Überfall“, „Suzie Washington“) erweist sich als ideenreicher Independent-Filmer der eigenwilligen Art. Seine Dreiecksgeschichte im naturwüchsig wilden Auenland zwischen Österreich und der Slowakei anno 2001 überzeugt durch dramaturgische Präzision, lässig lakonische Dialoge sowie das visuelle Konzept. In seiner Heimat räumte dieses überraschend packende Kammerspiel in Cinemascope die Filmpreise für Bestes Drehbuch, Beste Kamera sowie Beste Musik ab. Ein starkes Stück Kino.

Webseite: www.grenzgaenger-derfilm.at

Österreich 2012
Regie: Florian Flicker
Darsteller: Andreas Lust, Andrea Wenzl, Stefan Pohl, Martin Schwanda,
Filmlänge: 88 Minuten
Verleih: Alpenrepublik, Vertrieb: Barnsteiner-Film
Kinostart neu: 12. September 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Frei nach Karl Schönherrs Theaterstück „Der Weibsteufel“ erzählt Florian Flicker von einer Dreiecksgeschichte im einsam wilden Auenland zwischen Österreich und der Slowakei kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der junge Soldat Ronnie, der gelangweilt auf einem einsamen Grenzturm Wache schiebt, wird von seinem mürrischen Vorgesetzen auf die Wirtsleute Jana und Hans angesetzt. Das Paar mit dem maroden Gasthaus steht schon lange im Verdacht, als Schlepper das karge Einkommen aufzubessern und Osteuropäer über die Grenze zu schmuggeln. Um endlich Beweise für die Fluchthilfe des Pärchens zu finden, bekommt Ronnie den Geheimauftrag als Gigolo-Spion. Der misstrauische Hans jedoch wittert sofort den Verdacht und verlangt von seiner Gattin, mit dem Soldaten zu flirten, um so falsche Fährten legen zu können. Der clevere Plan indes gerät alsbald aus dem Ruder, denn Rekrut Ronnie verliebt sich heftig in die vernachlässigte Wirtin, welche umgekehrt nicht weniger fasziniert von dem feschen Liebhaber in Uniform scheint.

Was nach gängiger Beziehungsgeschichte klingt, entpuppt sich als spannendes Psychodrama der minimalistischen Art. Regisseur Flicker und sein exzellentes Darsteller-Trio haben diese Figuren bei ihrem packenden Liebesspiel um Vertrauen, Verrat und Eifersucht dramaturgisch präzise im Griff und halten gekonnt die Balance der Macht. Die knappen Dialoge überzeugen durch ein lässig lakonisches weniger-ist-mehr-Prinzip. „Ohne mich bist du nichts“, raunzt der meist missmutige Hans seine Frau an. „Mit dir bin ich aber auch nicht viel“, entgegnet die resolute Jana schnippisch. „Es geht darum, was Liebe aushält und wo der Verrat am anderen beginnt“, erläutert Regisseur Flicker sein Kammerspiel in Cinemascope, das vielfach an einen Western erinnert. Vom einsilbigen Farmer über die vermeintlich duldsame Frau bis zum Fremden auf dem Pferd (in diesem Fall ein Haflinger namens „Casanova“!) dessen Ankunft alles durcheinanderbringt. Da passt die Veranda mit Schaukelstuhl bestens ins Cowboy-Bild.

Visuell sorgt der preisgekrönte Kameramann Martin Gschlacht für eine atmosphärisch dichte Stimmung der fast unheimlichen, auf alle Fälle überwältigenden Art. Wie schon bei „Atmen“ findet Gschlacht betörend schöne Bilder und präsentiert diese archaisch unwirtliche Wildnis der niederösterreichischen March-Auen geradezu poetisch mit vibrierender Finesse. In seiner Heimat bekam das Werk den Filmpreis für Drehbuch, Kamera und Musik - hoffentlich Anreiz für Regietalent Flicker, nicht wieder zwölf Jahre bis zum nächsten Spielfilm zu warten.

Dieter Oßwald

Um Hans, Jana und Ronnie geht es in diesem Kammerspiel. Hans und Jana betreiben eine kleine Ausfluggaststätte in einer flussdurchzogenen Au nahe der österreichisch-slowakischen Grenze. Wir schreiben das erste Jahrzehnt unseres Jahrtausends.

Die Gaststätte wirft nicht viel ab. Hans, von Haus aus Fischer, hat daher noch eine andere Einnahmequelle. Er ist Schlepper, bringt Asylanten aus dem Osten heimlich in die EU. Der Grenzoffizier Fuchs weiß davon und sucht schon lange eine Gelegenheit, Hans zu schnappen. Bisher erfolglos.

Jetzt muss Fuchs zu härteren Mitteln greifen. Er setzt Ronnie auf Jana an. Ronnie ist jung, sympathisch und gut aussehend. Es könnte also klappen.

Hans beauftragt seinerseits Jana, dem jungen Grenzsoldaten gegenüber sehr (Wiederholung: sehr) zuvorkommend zu sein. Das ergibt eine exzellente Tarnung, die auch funktioniert. Jana und Hans werden intim, schmieden sogar Pläne.

Doch damit hat Hans sich seelisch übernommen. Die Tragödie ist unabwendbar.

Die ausgewählte Auenlandschaft – Kamera – ist ein Ort, der nicht besser hätte ausgesucht werden können: für den untergründigen Kampf der drei um Geld, Zukunftshoffnung, Liebe, Eifersucht, Lebensentscheidung und schließlich Lebensgefahr. Die Atmosphäre ist und bleibt gespannt; die Abgeschiedenheit der Landschaft verstärkt noch das von den hier Lebenden angestrebte Zugehörigkeitsgefühl.

Handwerklich und formal gesehen ist dem Regisseur zuzustimmen, vom Gespür für den Stoff (angelehnt an das Drama „Der Weibsteufel“) liegt er weit über dem Üblichen.

Natürlich bedarf es guter Akteure, wenn praktisch nur drei Figuren ein Stück tragen müssen. Andrea Wenzl (Jana), Andreas Lust (Hans) sowie Stephan Pohl schneiden gut ab. Am besten: Andrea Wenzl. Ihre Ruhe, die Verdrängung ihrer etwas fraglichen Vergangenheit, die Vergewaltigung ihrer Gefühle für Hans, die Hingabe an Ronnie – „halb zog sie ihn, halb sank er hin“ -, das alles spielt sie mit stiller Kunst.

Thomas Engel