Where to, Miss?

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„Früher war ich die Tochter von Harischandra, meinem Vater. Nach der Hochzeit nannten sie mich Frau von Badri. Heute werde ich nur Aayushs Mutter genannt. Dabei möchte ich einfach nur Devki sein.“ Damit trifft sie genau das Dilemma ihres Lebens und den Kern dieses kleinen, sehr würdevollen Films über ein Frauenleben in Indien. Mehr als drei Jahre hat Manuela Bastian Devki begleitet. Ihr Film ist gleichzeitig optimistisch und traurig, und er zeigt in melancholischen Bildern eine Frau zwischen Tradition und Revolte, deren Traum es ist, Taxifahrerin in Delhi zu werden.

Webseite: http://wheretomiss.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2015
Drehbuch und Regie: Manuela Bastian
Darsteller: Devki, die wichtigste von allen!
Kamera: Jan David Günther
Musik: Milky Chance
83 Minuten
Verleih: W-film
Kinostart: 19. Januar 2017

FESTIVALS/PREISE:

2016, 10. Fünf Seen Filmfestival
2016, 13th Indian Filmfestival
2016, 35th Jean Rouch International Filmfestival Paris
2016, Filmfestival Kitzbühel, Publikumspreis
2015, Internationale Hofer Filmtage, Auszeichnung Granit Dokumentarfilmpreis

FILMKRITIK:

Devki ist mutig. Sie will unbedingt Taxifahrerin werden, ausgerechnet Taxifahrerin und ausgerechnet in Delhi! Hier gehen Frauen am Abend nicht einmal ohne Begleitung auf die Straße. Aber Devki ist nicht nur mutig, sondern auch ausgesprochen hartnäckig. Und so setzt sie sich schließlich gegen ihren Vater durch, denn Devki hat einen Traum: Sie möchte andere Frauen sicher durch die Nacht geleiten, so wie ihre Freundin. Doch bevor es losgehen kann, muss Devki erst noch Autofahren lernen, dazu Selbstverteidigung, Englisch und ein bisschen Fahrzeugtechnik. All das fällt ihr sehr schwer. Bei der Arbeit lernt sie schließlich einen Mann kennen, den sie heiratet und mit dem sie einen Sohn bekommt. Doch ihr Traum lässt Devki nicht los, auch wenn sie sich damit gegen die ganze Familie stellt. Natürlich hat Devki Angst davor, vergewaltigt zu werden, aber sie zeigt ihre Angst nicht, so wie sie vieles andere nicht zeigt, sondern stattdessen geduldig an ihrem Traum festhält.
 
Über einen Zeitraum von drei Jahren entstand dieser Film, den Manuela Bastian als ungewöhnliches Frauenporträt aus einem ebenso faszinierenden wie angsterregenden Land gestaltet hat. Devki fährt und läuft unbefangen durchs nächtliche Delhi, diesen Moloch von Stadt, erfüllt von unzähligen Menschen, Fahrzeugen und dem ungeheuerlichen Lärm, den sie alle gemeinsam produzieren. Das Taxi ist so etwas wie eine Oase der Ruhe, ein sicheres Schneckenhaus, in das sich Frauen zurückziehen können. Es ist zu sehen und zu spüren, dass sich hier einiges ändert, dass Frauen sich wehren und einiges auf die Beine gestellt wird, um ihnen mehr Unabhängigkeit und Sicherheit zu geben. Die Kurse, die Devki besucht, werden von einer NGO veranstaltet, und zwischendurch sieht man Demonstrationen von Frauen gegen Gewalt und Diskriminierung – es scheint im Lande zu brodeln. Wenn Devki zur Familie ihres Mannes in die Berge fährt, dann erwähnt ihre Schwiegermutter schon mal nebenher, dass ihr Mann sie seltener schlägt, seit Devki bei ihnen wohnt. Aber es ist nicht nur die ältere Generation, gegen die sich Devki durchsetzen muss, es ist auch ihr Mann – den sie sich nach einer gescheiterten, vermittelten Ehe immerhin selbst aussuchen durfte. Devki wirkt sanftmütig. Doch hinter der Fassade der (einigermaßen) braven Tochter, Schwiegertochter, Ehefrau und Mutter verbirgt sich ein eiserner Willen, sie macht einfach immer weiter, verfolgt ihren Traum und bleibt trotz Rückschlägen dabei, wobei ihre Sturheit nur von ihrer Geduld übertroffen wird.
 
Begleitet vom melancholisch schönen Soundtrack der deutschen Folktronica-Band Milky Chance geht Devki ihren Weg, und Manuela Bastian begleitet sie, hört ihr zu, zeigt ihren Alltag und ihre Entwicklungen, sie lässt Devki und die Menschen ihrer Umgebung sprechen. So ist ein sehr kleiner, manchmal reportagehafter, manchmal beinahe lyrisch essayhafter Film entstanden, der als Frauenporträt aus einem Land im Umbruch intensive Einblicke in die indische Wirklichkeit gewährt, ohne dabei offensiv die Feminismuskeule zu schwingen. Alles immer schön in Ruhe, sanft und freundlich – so wie Devki.
 
Gaby Sikorski