Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantastica

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Vor vier Jahren begeisterte der Chilene Sebastián Lelio mit „Gloria“, in diesem Jahr sorgte er im Wettbewerb der Berlinale erneut für eines der Highlights: „Una Mujer Fantastica“ stellt eine Frau in den Mittelpunkt, die einst ein Mann war und nun versucht, ein ganz normales Leben zu führen. Doch wie schwierig das Leben als transsexuelle Person ist, beschreibt Lelio in seinem herausragenden Film.

Webseite: www.piffl-medien.de

Chile 2017
Regie: Sebastián Lelio
Buch: Sebastián Lelio & Gonzalo Maza
Darsteller: Daniela Vega, Nestor Cantillana, Alejandro Goic, Pablo Greene, Sergio Hernandez, Nicolas Saavedra
Länge: 100 Minuten
Verleih: Piffl
Kinostart: 7.9.2017

AUSZEICHNUNGEN:

Silberner Bär auf der Berlinale 2017 für das Beste Drehbuch

FILMKRITIK:

Einen Film ohne Vorwissen sehen zu können ist ein seltenes Vergnügen und sorgt bei einem Film wie Sebastián Lelios "Una Mujer Fantastica" für eine besonders interessante Seherfahrung: Ein Mann in den 50ern, Orlando (Franciso Reyes) geht da in eine Bar, bestellt sich einen Drink und beobachtet ein weibliches Wesen, deutlich jünger, die ein schmachtendes Liebeslied singt. Man tauscht Blicke aus, kennt sich offenbar und wenig später betreten Orlando und Marina (Daniela Vega) eine Wohnung, küssen sich, werden Sex haben. Nachts wacht Orlando auf, hat Schmerzen, mühsam bringt Marina ihn ins Krankenhaus, doch zu spät: Orlando stirbt, Marina ist schockiert, versucht die Angehörigen zu benachrichtigen, doch hier beginnen die Irritationen: Orlandos Geliebte scheint sie gewesen zu sein, Orlandos Sohn weiß von ihr, doch erklärt das seine ungewöhnliche Reaktion? Und als ein Arzt, der Marinas Personalien aufnimmt bei einem Blick auf den Ausweis stutzt und sie mit "er" anredet ist klar, was an der Beziehung zu Orlando und Marina so besonders war: Marina wurde als Mann geboren und ist nun eine Frau.
 
Eine sehr starke Frau muss Marina im Folgenden sein, eine geradezu übernatürlich starke Person, um die Ruhe zu bewahren, um die Würde zu behalten, die ihr von allen Seiten genommen zu werden droht. Und zwar nicht nur von den bigotten Verwandten Orlandos, die sie mit nur einer Ausnahme verachten, sie mit kaum verhohlenem Ekel anstarren und nicht wahr haben wollen, dass ihr Vater oder Ex-Mann mit einer transsexuellen Person eine Liebesbeziehung führte. Solche Art der Intoleranz ist wenig überraschend, doch vielleicht noch schmerzhafter mag Marina das Verhalten einer ihr eigentlich wohl gesonnenen Polizistin erscheinen. Sie kenne "solche Personen", betont diese, habe Sympathien, doch gerade deshalb müsste sie fragen, ob Orlando Marina nicht vielleicht doch geschlagen habe. Selbst als Marina dies wiederholt verneint, will die Polizistin ihr nicht glauben und nötigt Marina in der schmerzlichsten Szene des Films zu einer ärztlichen Untersuchung, bei der Marina sich entblößen muss.
 
Dass es auch in dieser Szene dem Film gelingt, seine Hauptdarstellerin nicht bloß zu stellen, ihre Würde zu bewahren, spricht für die große Qualität von Sebastián Lelios Film, der schon in "Gloria" sein Gespür für einen besonders sensiblen Umgang mit Themen und Bildern bewies, die leicht ins Gegenteil umschlagen könnten. Damals war es die neu aufblühende Sexualität einer älteren Frau, hier das Thema Transsexualität. Dabei setzt Lelio die Entscheidung Marinas, als Frau zu leben als selbstverständlich voraus, so wie es sein sollte, und beschreibt statt dessen auf eindringliche Weise welche Schwierigkeiten weite Teile der Gesellschaft immer noch mit Menschen haben, die auf welche Weise auch immer anders als die breite Masse sind. Für diesen herausragenden, sensiblen Film wurden Lelio und sein Co-Autor Gonzalo Masa zu Recgt mit dem Silbernen Bär für das Beste Drehbuch ausgezeichnet.
 
Michael Meyns