Chaos Walking

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Eine mehrjährige Produktionszeit und zahlreiche Nachdrehs verraten, wie schwierig es war, das Konzept von Patrick Ness Jugendroman fürs Kino zu adaptieren. Und so ist Doug Limans Science-Fiction-Western-Jugend-Dystopie „Chaos Walking“ am Ende dann zwar voller spannender Ideen, aber vor allem ziemlich, ja, chaotisch.

Website: www.studiocanal.de/kino/chaos_walking

USA 2021
Regie: Doug Liman
Buch: Patrick Ness, Christopher Ford, nach dem Roman “The Knife of Never Letting Go” von Patrick Ness
Darsteller: Daisy Ridley, Tom Holland, Mads Mikkelsen, Demián Bichir, Cynthia Erivo, Nick Jonas, Ray McKinnon, Kurt Sutter, David Oyelowo
Länge: 109 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 10. Juni 2021

FILMKRITIK:

Möglicherweise wäre ein Film über die Genese von „Chaos Walking“ spannender als der fertige Film selbst, würde so ein Making Of doch viel über das Wesen Hollywoods verraten, über den Wunsch, nach dem Riesenerfolg der „Hunger Games“-Filme eine neue Serie von so genannten Young Adult-Romanen zu finden, die mindestens Vorlage zu einer filmischen Trilogie sein könnten, nicht zuletzt würde es aber darum gehen, dass manche Ideen zwar auf dem Papier fantastisch sind, im Kino aber so gar nicht funktionieren.

Und das ist zwar nicht das einzige, aber doch größte Problem an Doug Limans High Concept-Film „Chaos Walking“, der im 23. Jahrhundert auf einem Planeten spielt, der nur als New World bezeichnet wird. Hier lebt eine Gruppe Siedler, die überdeutlich an Pioniere erinnern, wie man sie aus zahllosen Western kennt, allein die Frauen fehlen. Die Eingeborenen des Planeten haben sie einst ermordet, so erzählt es zumindest der Bürgermeister (Mads Mikkelsen), der offensichtlich sinistre Anführer einer Gemeinschaft, die auf Pferden reitet und mit Ackerbau die wilde Natur urbar macht.

Identifikationsfigur des Publikums ist der vom aktuellen Spider-Man Tom Holland gespielte Todd, ein hibbeliger, unbedarfter Teenager also, ihm Gegenüber steht ein finsterer Prediger (David Oyelowo), der die moralischen Abgründe dieser Welt andeutet, aber auch nicht mehr.
Soweit so generisch, der Clou des Ganzen ist jedoch eine Eigenart dieser Welt, die The Noise-Der Lärm genannt wird: Alle Gedanken, die ein Mann sich macht, existieren nicht in seinem Kopf, sondern sind außen sichtbar, existieren als eine Art Wolke, die somit für alle Außenstehenden sichtbar ist. Geheimnisse gibt es also nicht, außer man kann seine Gedanken kontrollieren, was gerade dem Teenager Todd besonders schwer fällt. Erst recht als mit Viola (Daisy Ridley) eine Frau auftaucht, als einzige Überlebende eines Raumschiffes, das Vorhut einer neuen Besiedlungswelle ist.

Ein gutes Dutzend Handlungsstränge werden angerissen, jedoch nicht wirklich ausgeführt, allein die Chemie, die zwischen Todd und Viola entsteht, hält den Film mehr oder weniger zusammen. Mit dem eigentlich spannenden Konzept der sichtbaren Gedanken wissen die Filmemacher allerdings so gar nichts anzufangen. Anfangs wird angedeutet, wie diese Gedanken auch manipuliert werden können, wie mit ihrer Hilfe real anmutende Wesen oder Gegenstände entstehen können, doch es bleibt bei der Idee.

Die dann auch vollkommen inkonsequent umgesetzt wird, denn mal ist bei einer Gruppe Menschen etwa eine erwartbare Kakophonie von Gedanken und Geräuschen zu sehen und hören, mal stehen dutzende Männer zusammen, aber kein einziger Gedanke durchbricht die Stille. Was auf dem Papier als spannendes Konzept funktioniert, erweist sich auf der Leinwand als weitestgehend unverfilmbar. Nimmt man diesen besonderen Dreh allerdings weg, bleibt in der Welt von „Choas Walking“ nicht viel mehr als typische dystopische Momente, wie man sie in den letzten Jahren schon oft gesehen hat, meist auch in zwar weniger ambitionierten, aber auch weniger chaotischen Filmen.

Michael Meyns