Rock Chicks

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Sie mussten sich gegen Vorurteile durchsetzen und in einer männerdominerten Domäne bestehen, die bis heute mit Coolness, Sex und Drogen gleichgesetzt wird: die Rock-Musikerinnen der 50er- und 60er-Jahre. Sie waren zu einer Zeit aktiv, in der sie die Gesellschaft lieber am Kochtopf gesehen hätte. Welch Pionierarbeit diese Künstlerinnen leisteten und welche Bedeutung nachfolgende „Frauen-Generationen“ im Rock haben – das beleuchtet die stark durchkomponierte, aufwendige Doku „Rock Chicks“, die im Kern von der Erfüllung der eigenen Träume und dem Kampf gegen gesellschaftliche Widerstände handelt.

Webseite: www.dejavu-film.de/aktuelle-filme/rock-chicks/

Deutschland 2023
Regie: Marita Stocker
Drehbuch: Marita Stocker

Länge: 79 Minuten
Kinostart: 09. März 2023
Verleih: déja vu

FILMKRITIK:

Rockstars sind ausschließlich hartgesottene Männer mit Groupies und einem ausschweifenden Lebensstil? Weit gefehlt: In „Rock Chicks“ belegt Regisseurin Marita Stocker, dass es weibliche Gitarristen mindestens ebenso lange gibt wie männliche – und dass diese nicht selten auf den Platten bekannter Größen wie Chuck Berry und Eric Clapton zu hören sind. Auf ihrer musikalischen Reise trifft die Filmemacherin Frauen, die ihrer Zeit voraus waren und mit gängigen Vorurteilen brachen.

Stocker porträtiert eine ganze Reihe an Frauen, die in unterschiedlichen Zeiten und Phasen der Rockmusik wirkten oder bis heute aktiv sind. Darunter Künstlerinnen, von denen viele (egal ob Musikliebhaber oder nicht) wohl noch nie etwas gehört haben. Es ist ein großes Verdienst von „Rock Chicks“ an diese Musikerinnen zu erinnern und ihre Verdienste zu würdigen. Darunter die Blues-Gitarristin Rosetta Tharpe, deren einmaliger Slide-Guitar-Stil sogar Elvis und Johnny Cash beeinflusste.

Oder die US-Amerikanerin Cordell Jackson, die als erste Frau auf ihrem eigenen Label Musik veröffentlichte. Und zwar ihre selbst komponierten, ebenso schmissigen wie energetischen Rockabilly-Stücke. Stocker richtet ihr Augenmerk auf solche Frauen, die, wie Cordell Jackson, Tharpe oder die bekanntere Wanda Jackson („Let’s have a Party“) in eine bis dahin von Männern dominierten Welt eindrangen.

Dies betont etwa auch Kathy Valentine von den Go-Go's, die sich selbst als „seltenen Vogel“ bezeichnet. Sie gehört, neben der Country-Gitarristin Rosie Flores und der weltberühmten (Glam-)Rock-Interpretin Suzi Quatro gewissermaßen zu den Vertreterinnen der zweiten Generation an prägenden weiblichen Rockkünstlern. Sie leisteten weitere Pionierarbeit hinsichtlich der Akzeptanz von Frauen in der Rock-Szene. Sie alle kommen in „Rock Chicks“ ausgiebig zu Wort, wobei sich Stocker als umsichtige, aufmerksame Interviewerin entpuppt, die ihren Protagonistinnen allerlei Anekdoten entlockt. Und Infos darüber, wie hart vor allem zu Beginn der Karriere der Kampf war, gegenüber Ressentiments und vorgefertigten Meinungen (von Kollegen, der Presse, den Musikfans) zu bestehen.

Von allen Frauen verfügt Stocker in ihrer dynamisch erzählten, stark durchkomponierten Doku über einen stimmigen Mix aus Archivbildern, älteren Live-Mitschnitten und aktuellen Aufnahmen. Durch die Besuche bei den Frauen zu Hause entsteht zudem schnell eine angenehme Nähe und Intimität. Inklusive eines Blicks hinter die Kulissen. So sehen wir Go-Go’s-Bassistin Valentine beim Jammen in den eigenen vier Wänden und beobachten Quatro dabei, wie sie sich durch legendäre Bühnenoutfits wühlt – und Stocker nebenbei die mit dem Dasein als Rockstar einhergehenden, negativen Aspekte erläutert. Dazu zählen die Last des (frühen) Ruhms und des Medienrummels („Plötzlich bist du öffentliches Eigentum“).

Ergänzt werden die Interviews durch Musikfans, Fanclub-Mitglieder sowie fachkundige, Experten, darunter Daphne Brooks, Professorin für Geschlechterforschung und Musik. In ihren Erläuterungen bettet sie das Thema der „weiblichen Rockmusiker“ hintergründig in einen übergeordneten Kontext ein und erklärt das Phänomen sowie die mit ihm verbundenen Stereotype und (gesellschaftlichen) Ansichten aus wissenschaftlicher Sicht.

Der einzige Kritikpunkt: Wieso greift die Doku nicht beispielhaft auf einige weitere, höchst erfolgreiche Rock-Interpretinnen aus der Geschichte zurück und baut sie in die Erzählung mit ein? Sie belegen, dass die Frauen den Männern im Rock spätestens ab den 1980er-Jahren hinsichtlich der medialen Präsenz und des kommerziellen Erfolgs ebenbürtig waren. Darunter Joan Jett, Pat Benatar, Melissa Etheridge, Ann und Nancy Wilson (Heart) oder auch Chrissie Hynde von den Pretenders. Um nur einige zu nennen. Leider bleiben sie unerwähnt.

Björn Schneider