Becoming Animal

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Nein, zum Tier werden ist nicht der Lösungsansatz, den der Philosoph David Abram in „Becoming Animal“ anbietet, einem essayistischen Dokumentarfilm von Emma Davie und Peter Mettler. Um das Verhältnis von Mensch und Natur, Sprache und Wahrnehmung dreht sich der meditative Film, der keine Lösungen, sondern Denkansätze präsentiert.

Webseite: becominganimal.de

Essayfilm
Schweiz/ Kanada/ GB 2018
Regie: Emma Davie & Peter Mettler
Länge: 78 Minuten
Verleih: GMFilms
Kinostart: 29. August 2019
 

FILMKRITIK:

David Abrams Buch „The Spell of the Sensuous. Perception and Language in a More-Than-Human World“, 1996 im amerikanischen Original, erst 2012 auf Deutsch unter dem Titel „Im Bann der sinnlichen Natur. Die Kunst der Wahrnehmung und die mehr-als-menschliche Welt“ gilt als Schlüsselwerk für die moderne Ökologiebewegung. Stark beeinflusst von der so genannten Gaia-Hypothese, die postuliert, dass die Erde, die Menschen, die Natur, die gesamte Biosphäre als ein verbundenes Lebewesen betrachtet werden müsse, um die Komplexität unserer Welt begreifen zu können, befasst sich Abram mit dem Verhältnis von Mensch und Natur.

Allein das hier zwei Begriffe nebeneinander, vielleicht auch gegeneinander stehen sieht Abram als Teil des Problems, als Zeichen für die zunehmende Loslösung des Menschen von der Natur, einem Prozess, der in der Entwicklung der Menschheit, vor allem durch die Entwicklung der Sprache, immer stärker wurde. Und das bis vor wenigen Jahren dazu führte, dass der Mensch und seine Handlungen nicht als integraler Teil der Biosphäre betrachtet wurde, sondern quasi als bloßer Bewohner und Nutzer unseres Planeten, den er sich – ganz der Bibel folgend – über Jahrhunderte untertan machte.

Dass diese Ausbeutung der Ressourcen längst katastrophale Ausmaße angenommen hat wird immer deutlicher, dementsprechend wurde vor einigen Jahren der Begriff des Anthropozän geprägt, der das gegenwärtige Erdzeitalter beschreibt, eine Ära, in der der Mensch mehr Einfluss auf die Erde einnimmt als die Natur selbst.

Kann diese Entwicklung gestoppt oder gar rückgängig gemacht werden? Das ist eine der vielen Fragen, die lose durch den Essayfilm der Schottin Emma Davie und des Schweiz-Kanadiers Peter Mettler schweben, während sie mit Abram durch die Natur streifen. Gedreht wurde ausschließlich im Grand Teton National Park im amerikanischen Bundesstaat Wyoming, einem der komplexesten und besterhaltendsten Ökosysteme der Erde. Hier sucht Abram die Nähe zur Natur, lauscht den Lauten der Tiere ebenso wie dem Rauschen der Flüsse oder dem Rascheln der Blätter.

Ein wenig esoterisch mag das auf den ersten Blick wirken, doch Abrams Gedanken sind weitaus komplexer. Von der distanzierenden Wirkung der Sprache spricht er etwa oft, davon, wie Begriffe Differenzen erzeugen, die im Laufe der Zeit dazu führen, dass sich etwa der Mensch von der Natur zunehmend entfremdete. Parallel dazu ging im Zuge der zunehmenden Industrialisierung und Technologisierung der Welt auch ein Gespür für die Natur verloren, ein Wissen um die Kreisläufe der Natur, die wechselseitige Beeinflussung von Mensch, Tieren und Natur.

Dieses Gespür wiederzufinden ist ein ebenso hehres wie notwendiges Ziel, will die Menschheit noch auf absehbare Zeit auf der Erde leben. Alarmistisch ist „Becoming Animal“ dennoch in keiner Weise, statt dessen eine meditative, betont zurückhaltende, mäandernde Annäherung an ein weitreichendes Thema. Ein kluger Film, der nicht so tut als gäbe es auf die drängenden Themen unserer Zeit klare, einfache Antworten, sondern es schafft, komplexe Gedanken greifbar zu machen.

Michael Meyns