Der unverhoffte Charme des Geldes

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Ein studierter Philosoph, der als Lieferfahrer jobbt und an das Gute glaubt, kommt per Zufall an zwei Taschen voller Geld. Denys Arcand („Die Invasion der Barbaren“) macht aus dem Komödienstoff einen sehenswerten Film mit Thrill und Witz: ein modernes, intelligentes Ganovenmärchen, in dem sich Robin Hood und „Pretty Woman“ treffen.

Webseite: www.mfa-film.de

Originaltitel: La chute de l’empire Américain
Kanada 2018
Drehbuch und Regie: Denys Arcand
Darsteller: Alexandre Landry, Maripier Morin, Rémy Girard, Pierre Curzi, Louis Morissette
Kamera: Van Royko
128 Minuten
Verleih: mfa+
Kinostart: 1. August 2019

FILMKRITIK:

Der Kurierfahrer Pierre Paul ist gebildet, sensibel und arm. Tatsächlich ist er davon überzeugt, er sei zu intelligent, um erfolgreich zu sein, wofür der examinierte Philosoph ziemlich gute Argumente parat hat. Eines Tages wird Pierre-Paul bei der Arbeit Zeuge eines Überfalls, korrekt gesagt: der Schießerei nach einem Überfall. Noch ehe er überhaupt reagieren kann, liegen zwei Gangster tot am Boden, ein dritter entkommt schwer verletzt. Zurück bleiben zwei ziemlich große Sporttaschen, vollgestopft mit Banknoten. Kurz entschlossen greift Pierre-Paul zu und nimmt die Taschen an sich.
 
Was macht ein guter Mensch mit so viel Geld? Und was macht das Geld aus einem guten Menschen? Auch Pierre-Paul erliegt diversen Versuchungen, unter anderem engagiert er das teuerste Escort-Girl der Stadt: Aspasie, benannt nach einer der ersten Philosophinnen der Weltgeschichte. Doch dabei bleibt es nicht: Er weiht sie ein und macht sie zu seiner Gefährtin, im Bett und im Business. Außerdem engagiert er den Ex-Häftling Sylvain, der im Knast Betriebswirtschaft studiert hat. Was die Drei nicht ahnen: Mittlerweile sind ihnen die Gangster, der flüchtige Räuber und der Bestohlene, ein berüchtigter Gangsterboss, ebenso auf der Spur wie die Polizei. Alle wissen eigentlich, dass Pierre-Paul das Geld geklaut hat. Doch die große Frage ist: Wo ist die ganze Kohle? Und in welchem Zusammenhang dazu steht Pierre-Pauls gesteigertes Engagement für Obdachlose?
 
Die satirische Komödie lebt natürlich zu großen Teilen von der Spannung, die aus der Frage resultiert: Wird Pierre-Paul davonkommen? Und wird es ihm gelingen, seine Mitstreiter zu überlisten, die ihm an krimineller Energie deutlich überlegen sind? Denys Arcand operiert dabei durchweg sehr geschickt, mit einem Drehbuch, das immer nur so viel verrät, wie das Publikum wissen muss, damit es richtig spannend bleibt. Nur am Ende greift Denys Arcand kurzzeitig mal zum Brückenpfeiler, um die Ernsthaftigkeit seiner Botschaft durch verschärftes Winken zu verstärken. Doch das tut dem Vergnügen keinen Abbruch. Die Robin-Hood-Geschichte um Pierre-Paul verknüpft eine intelligente Story mit Actionmomenten und guten schauspielerischen Leistungen. Pierre-Paul, dieser harmlose Junge, der optisch an Ryan O’Neal in „Is‘ was, Doc?“ erinnert und sogar noch ein bisschen naiver und weltfremder rüberkommt, ist dabei alles andere als ein gewiefter Ganove, sondern vielmehr der Inbegriff eines Weltverbesserers.

Alexandre Landry spielt diesen Robin Hood der Neuzeit, der den Armen geben möchte, was den Reichen gehört. Dabei gelingt es Alexandre Landry, die Entwicklung eines unbedarften Idealisten vom Softie und Loser zum Verbrecher wider Willen überzeugend darzustellen. Dieser Junge mit dem Charme eines jungen Bernhardiners ist anfangs tatsächlich einfach zu gut für diese Welt. Und natürlich macht er alles falsch, was man laut Filmgeschichte in so einem Fall falsch machen kann: Er vertraut einem Schwerverbrecher und einer Hure, die beide offenkundig hinter seinem Geld her sind, und er glaubt, klüger zu sein als die Polizei, die sich an seine Fersen geheftet hat – ganz abgesehen von den Gangstern, die absolut keinen Spaß verstehen, wenn es um die Kohle geht. Aber Pierre-Paul ist lernfähig. Er will das System für seine eigenen Zwecke nutzen. Dafür sucht und findet er Verbündete, die schlaue Aspasie mit ihren guten Beziehungen zu alten Männern aus besten Kreisen und den Anarcho-Rocker „The Brain“ Sylvain.

Aspasie wird gespielt von Mariepier Morin, die dem selbstbewussten Callgirl eine deutlich spürbare Klugheit und eine ordentliche Portion knisternde Erotik gibt. Sehr gut in seiner Ironie, die er gelegentlich mit einem feinen Zynismus würzt, ist auch Rémy Girard als Sylvain. Zusammen könnten sich die Drei perfekt ergänzen, vorausgesetzt, es gelingt ihnen, den Gangstern und der Polizei zu entkommen und gemeinsam der Verführung des Geldes zu widerstehen. Als Aspasie einen ihrer ehemaligen Klienten ins Spiel bringt, den skrupellosen Offshore-Banker Taschereau, nimmt die Geschichte eine neue Wendung. Pierre Curzi spielt ihn mit der souveränen Geschäftsmäßigkeit eines weltmännischen Gentlemanverbrechers.
 
Jaja, das liebe Geld. Es macht die Menschen gierig, zerstört Liebe und Freundschaft. Vor allem ist es sehr ungerecht verteilt. Wer Geld hat, wird immer reicher, und wer keines hat, hat keine Chance, jemals welches zu bekommen. Es sei denn …?
 
Gaby Sikorski