À la carte! – Freiheit geht durch den Magen

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Nach seinem Kinoerfolg „Birnenkuchen mit Lavendel“ erzählt Regisseur Éric Besnard davon, wie das erste Restaurant Frankreichs entstand. Eigentlich ein Wunder, dass sich in einer medialen Welt voller Fernsehköche und Kochsendungen dieses Thema erst jetzt in einem Film wiederfindet. Er entführt in die vorrevolutionäre Welt des Jahres 1789 in Frankreich, wo die gepuderten Adeligen noch in Saus und Braus leben und darum buhlen, wer den besten Koch hat und die ausgefallensten Gaumenfreuden kredenzen kann. Als ein Koch es wagt, sowas ordinäres wie Kartoffeln zu präsentieren und dafür vom Hofe gejagt wird, rächt sich dieser, indem er für alle kocht und einen Gastraum eröffnet, wo jeder und jede bedient und mit kulinarischen Delikatessen verwöhnt wird. Inszeniert mit geradezu schwelgerischen, Stilleben nachempfundenen Bildern und einer höchst sympathischen Besetzung mit Koch und Köchin, ist der Film selbst, was er zeigt: eine Köstlichkeit. Wem „Birnenkuchen mit Lavendel“ geschmeckt hat, der wird auch „À la carte!“ genießen. Eine Delikatesse von einem Film.

Website: http://www.neuevisionen.de/

OT: DÉLICIEUX
Frankreich 2021
Regie: Éric Besnard
Mit Grégory Gadebois, Isabelle Carré, Benjamin Lavernhe, Christian Bouillette
Länge: 112 Min.
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 25.11.2021

FILMKRITIK:

1789, einige Wochen vor der Französischen Revolution. Die Adeligen mit ihren gepuderten Gesichtern und toupierten Perücken halten Hof und versuchen, ihre Langweile zu vertreiben und sich gegenseitig zu imponieren. Da trifft es sich gut für den Herzog von Chamfort, dass er mit seinem überaus talentierten Koch prahlen kann, der die ach so feine Gesellschaft mit immer neuen kulinarischen Genüssen versorgt. Doch eines Tages wagt es dieser, eine kleine neue Köstlichkeit zu präsentieren – aus Kartoffeln! Kartoffeln, die doch nur Schweine fressen – will er etwa die feine Gesellschaft brüskieren? Und so findet sich der große Koch Manceron auf einmal auf seinem kleinen elterlichen Hof wieder und muss dünne Maronensuppe löffeln.

Bis eines Tages Louise vor der Tür steht, eine Frau, die seine Rezepte kennt und unbedingt bei ihm das Kochen lernen will. Nur mürrisch gibt er nach und weist sie schließlich ein in die Feinheiten des guten Essens, das mit guten Zutaten beginnt. Sie hat so einige neue Ideen im Kopf, etwa dass nicht nur die Hochwohlgeborenen, sondern ein jeder Mann und eine jede Frau das Recht hat, in einem Restaurant mit gutem Essen und Trinken bewirtet zu werden. Aber sie hütet auch ein Geheimnis, das für den Herzog, aber auch für Manceron gefährlich werden könnte. Und so beginnen nicht nur die Bürger in Paris, auf die Barrikaden zu gehen, so entwickelt sich auch auf dem Lande eine (kulinarische) Revolution im Kleinen.

Schon bei „Birnenkuchen mit Lavendel“ wusste Regisseur Èric Besnard, wie man mit schönen Wendungen und einem liebevollen, warmherzigen Blick auf die Protagonisten das Publikum bezaubern kann. Das zeichnet auch „À la carte!“ aus, der mit prachtvollen Bildern beginnt und immer wieder Tableaus von Speisen und gedeckten Tischen anrichtet wie Stilleben großer alter Meister. Und so sinnlich die Zubereitungen zelebriert werden, so charmant und durchaus auch humorvoll entwickelt sich die Geschichte, bei der man am Ende gelernt hat, dass in ein Restaurant zu gehen einstmals ein geradezu demokratischer Akt war. So ist der Film nicht nur eine kurzweilige, charmante Geschichtsstunde, sondern auch eine genussvolle Einladung an alle, die gerne essen – und natürlich noch mehr an die, die gerne kochen. Liberté, égalité, délicieux.

Hermann Thieken


Mit BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL konnte Éric Besnard einen riesigen Erfolg in den Kinos feiern, und hier kommt wieder eine Komödie von ihm – die auch ein bisschen Romanze, Krimi und Gesellschaftssatire ist: ein opulenter Bilderbogen mit bestrickend schönen Landschaftsaufnahmen und einer hübsch ausgedachten Story. Diesmal geht es um die (fiktive) Erfindung des Restaurants als Ort der genussvollen Begegnung von Arm und Reich – eine Fabel über Liberté, Égalité und Fraternité kurz vor der französischen Revolution. Ein appetitlicher Gute-Laune-Film, leicht und fluffig wie ein Soufflé, aber immer mit ein bisschen Biss.

Manceron ist ein genialer Koch: so gut, dass er einen Posten am Hof des Herzogs von Chamfort ergattert hat. Aber leider darf er den hohen Herrschaften seine innovativen Kreationen nicht auftischen. Manceron hat nämlich die natürliche Küche für sich entdeckt, einschließlich der Pflanzen, Pilze, Kräuter und Gewürze aus den heimischen Wäldern. Stattdessen muss er servieren, was der Adel für chic hält: gebratene Singvögelchen, Täubchen und Schwänchen. Eines Tages gelingt es ihm, ein paar Kartoffelküchlein dazwischen zu schmuggeln. Der kurzfristigen Begeisterung folgt die Blamage, als die Zutat erkannt wird. Man stelle sich vor: Kartoffeln! Schweinefutter am Tisch von Adligen! Im Frankreich des Jahres 1789 ist das ein kulinarischer Fehltritt, der sich umgehend bis nach Versailles herumsprechen und den Ruf der Chamforts auf ewig ruinieren könnte. Mancerons standfeste Weigerung, sich zu entschuldigen, führt zum prompten Rausschmiss und zu seiner Rückkehr ins Elternhaus, eine abgelegene Poststation mitten in der Wildnis. Hier landen nur hin und wieder ein paar versprengte Reisende, und die freuen sich schon über eine heiße Bouillon mit halbwegs frischem Brot. Doch dann taucht plötzlich die rätselhafte Louise auf, die unbedingt kochen lernen will. Langsam, aber sicher entdeckt Manceron zusammen mit ihr seine wahre Berufung.

Am Hof derer von Chamfort ist richtig was los, und trotzdem langweilen sich die Vons und Zus unendlich – trotz Sex and Drugs and Rock’n Roll. Éric Besnard entlarvt das dekadente Leben der Adligen als Karikatur einer Feudalgesellschaft auf dem Weg in den Abgrund. Parallelen zu heute sind dabei deutlich erkennbar. Die Fassade stimmt gerade noch, auch wenn die Allonge-Perücken schon etwas struppig sind. Man schwelgt im Luxus und feiert die Unmoral mit etwas zu schrillem Lachen. Auf der anderen Seite steht das brave Volk, das Besnard in sanfte Erd- und Naturtöne hüllt, ganz im Gegensatz zur grellen, verkommenen Aristokratie. Besnards Landschaftsaufnahmen sind, ähnlich wie in BIRNENKUCHEN UND LAVENDEL, von beinahe überirdischer Schönheit. In seinen Bildern feiert er die Natur: die Blumen, Bäume, Pilze und Kräuter, die Blüten und Beeren, die Wurzeln, Stängel und Blätter – ein einziger von ihm gefilmter Champignon hat mehr Power als eine ganze Silberplatte voll Austern. Seine Bilder aus den Katen, Küchen und Hütten der Armen erinnern mit ihrer feinen, dunklen Patina manchmal an die Werke alter Meister. Manceron entwickelt sich zum Symbol, er wird so etwas wie ein kulinarischer Vorreiter für ein ganzes unterdrücktes Volk, anrührend liebenswert und humorvoll gespielt von Grégory Gadebois: ein Bär von einem Mann, scheinbar unerschütterlich. Er ist zu Beginn ein verkappter Rebell, nur in der Küche ein Revolutionär, aber er wird immer kreativer und mutiger, kurz: ein kämpferischer Genießer, der sein Wissen über das Kochen und das Essen nur zu gern weitergibt. An seiner Seite die Louise, gespielt von Isabelle Carré: nicht jung, nicht alt, nicht besonders schön – eine offenbar kluge, gebildete Frau mit sympathischen Lachfältchen, die von Anfang an ganz klar sagt, wo es langgeht, wenn sie sich Mancerons plumpen Annäherungsversuchen widersetzt. Warum sie unbedingt eine Ausbildung als Köchin machen will und warum ausgerechnet bei Manceron, wird sich erst nach und nach aufklären. Doch bevor es so weit ist, inspiriert sie den Küchenmeister zu Höchstleistungen und entwickelt mit ihm gemeinsam ein paar neuartige Ideen.

So wird die (fiktive) Geschichte über die Erfindung der Restaurants bei Besnard zur gelebten Vision eines Genusses, der allen zugänglich ist. Alle sind gleich, wenn es ums Essen geht – ein schöner Gedanke. Besnard macht daraus ein unterhaltsames, witziges Märchen und zaubert eine leichte Melange aus Komödie, Romanze, Krimi und Gesellschaftssatire. A table, camerades, et bon appetit!

Gaby Sikorski