Adam

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In dem im heutigen Casablanca angesiedelten Drama „Adam“ entwickelt sich eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen zwei Frauen, die wissen, was Schmerz und Verlust bedeuten. Trotz anfänglicher Ablehnung, entstehen bald Verständnis und Zuneigung – denn in ihrer jeweiligen Rolle als (werdende) Mütter sind sie vereint. Der ebenso kraftvoll wie unscheinbar erzählte „Adam“ lotet die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft aus und stellt kluge Fragen danach, was Mutterschaft eigentlich bedeutet. Subtil berührend und angenehm unverfälscht, trotz, oder gerade wegen, einiger dramaturgischer Leerstellen.

Website: www. grandfilm.de/adam/

Marokko/Frankreich 2019
Regie: Maryam Touzani
Drehbuch: Maryam Touzani
Länge: 100 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 09.12.2021

FILMKRITIK:

Die Mittvierzigerin Abla (Lubna Azabal) lebt mit ihrer Tochter Warda in der marokkanischen Hauptstadt Casablanca. Ihr Leben als alleinerziehende Mutter und berufstätige Frau fordert sie sehr. Hinzu kommt, dass das Café, das sie in der Altstadt betreibt, nicht sonderlich gut läuft. Eines Tages klopft Samia (Nisrin Erradi) an Ablas Haustür. Die junge Frau ist hochschwanger und sucht Arbeit. Doch Abla schickt sie weg. Ohne Arbeit, Geld und ein Bett für die Nacht verbringt Samia die nächsten Stunden vor Ablas Haus. Da Warda die Fremde sofort ins Herz geschlossen hat, gewährt ihr Abla schließlich doch Einlass. Und Samia lebt sich in den folgenden Wochen gut ein, was nicht nur an ihren ausgezeichneten Backkünsten liegt. Bald entwickelt sich eine echte Freundschaft zwischen den Frauen. Doch je näher die Geburt rückt, desto unklarer wird die Situation für alle.

Mit bewundernswerter Beiläufigkeit erzählt die marokkanische Drehbuchautorin und Regisseurin Maryam Touzani von einer Freundschaft zwischen zwei starken Frauen. Zwei Frauen, die jeweils für sich eine schwere Last zu tragen haben. Darin sind sie vereint, nur gehen die Figuren unterschiedlich damit um. Da ist die scheue, schüchterne Abla (brillant: Lubna Azabal), die den Tod ihres Mannes nie verwunden hat. Allerdings auch nie daran gearbeitet hat, den Verlust zu bewältigen.

Stattdessen gibt sie sich ihrer Trauer und Verbitterung hin. Im Umgang mit anderen ist sie nicht selten schroff und abweisend. Diese Erfahrung muss Samia gleich zu Anfang machen. In einer der wichtigsten Szenen des Films, die den Ausgangspunkt einer berührenden Frauenfreundschaft darstellt, bekommt diese den ganzen Frust Ablas ab.

Die sehr beherzt auftretende Nisrin Erradi hingegen spielt eine Frau, die aus ihrer Dorfgemeinde geflohen ist. Sie trägt ein uneheliches Kind in sich und ist sich sicher, dass sie es nach der Geburt zur Adoption freigibt. Aus Angst vor Ablehnung durch ihre Familie. Im Kampf der Protagonistinnen mit ihrer Trauer und Furcht spielt „Adam“ subtil auf Themen und Fragen an, die vor allem, aber eben nicht nur, Frauen in der islamischen Welt betreffen. Es geht um die Stellung und Rolle der Frau in unserer Zeit, die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter, Trauerbewältigung und was Mutterschaft eigentlich bedeutet. Auch das „Mutter-Sein“ (Abla) und den Prozess des „Mutter-Werdens“ (Samia) thematisiert der Film.

Männer treten in diesem fast kammerspiel-artigen Drama, das zu weiten Teilen in der Wohnung von Abla und ihrer Tochter spielt, nur selten auf. Eine männliche Nebenfigur macht Abla Avancen. Doch es dauert, bis diese aus sich herausgehen und Freude zeigen kann. Bis es soweit ist, widmet sich Touzani ganz der Entwicklung der Beziehung zwischen Abla und Samia. Mit ihrer unsteten Kamera und den geschliffenen Handkamerabildern folgt sie ihnen und setzt dabei bewusst auf viele intime Nahaufnahmen.

Trotz des thematisch eng gesteckten Rahmens und des überschaubaren Settings, entstehen während der 100 Minuten Laufzeit keine Längen oder Langatmigkeit. Dafür beobachtet man die intimen Szenen und die sinnlichen, fast körperlichen Momente (gerade die Szenen beim Backen zeugen davon) allzu gebannt. Dennoch sollte sich der Zuschauer nicht zu sehr darauf verlassen, dass „Adam“ alle Fragen beantwortet. Das betrifft zum Beispiel die genaue Herkunft und Vorgeschichte der Frauen, über die man nur sporadisch etwas erfährt, als auch das offene Ende. In diesen Augenblicken beweist Touzani Mut zur bewusst lückenhaften Erzählung und zu dramaturgisch klug gewählten Leerstellen, die den Betrachter zum Nachdenken auffordern.

Björn Schneider