After Midnight

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Im Horrorkino gehört das klassische Monster zu den gängigen Schocker-Motiven. Doch Regisseur Jeremy Gardner nutzt es in seinem kleinen Independent-Drama „After Midnight“ als Symbol für das Innere seiner von ihm selbst gespielten Hauptfigur, die sich damit auseinandersetzen muss, dass seine ihn eigentlich liebende Freundin von einem auf den anderen Tag spurlos verschwindet.

Website: cinemaobscure.blogspot.com

USA 2019
Regie: Jeremy Gardner
Darsteller: Jeremy Gardner, Brea Grant, Justin Benson, Ashley Song, Nicola Masciotra
Verleih: Drop-Out Cinema
Länge: 83 Min.
Start: 14. Mai 2020

FILMKRITIK:

Hank (Jeremy Gardner) und Abby (Brea Grant) sind ein eigentlich glückliches Liebespaar, das sich im Hinterland Floridas ein beschauliches Zuhause aufgebaut hat. Doch eines Tages verschwindet die junge Frau spurlos. Und hinterlässt einen ratlosen Freund, der nicht weiß, ob Abby nun etwas passiert ist, oder sie ihn aus freien Stücken verlassen hat. Das Einzige, was ihm bleibt, ist eine kryptische Notiz, die Hank jedoch nicht zu entschlüsseln vermag. Die Umstände werden noch rätselhafter als sich der junge Mann nicht nur mit dem Verschwinden seiner Freundin auseinandersetzen muss, sondern es auch noch mit einer Kreatur zu tun bekommt, die so gar nicht von dieser Welt stammt. Dieses Monster sucht Hank fortan jede Nacht heim. Und für ihn steht fest, dass Abbys Verschwinden unweigerlich etwas mit diesem Wesen zu tun haben muss…

Horrorfilme von heute dienen längst nicht mehr nur dazu, ihre Zuschauer für ein paar Stunden so richtig zum Schaudern zu bringen. Spätestens seit „Der Babadook“ aus dem Jahr 2014 verhandeln die Gruseldramen aus einer Generation junger Horrorfilmer unter dem Deckmantel klassischer Genrekost Themen wie toxische Liebesbeziehungen („Midsommar“), Rassismus („Get Out“) oder den politischen Umbruch im Nachkriegsdeutschland („Suspiria“). Jeremy Gardner fischt für sein Indie-Drama „After Midnight“, das bereits 2019 auf dem Fantasy Filmfest Deutschlandpremiere feierte, ebenfalls in Genregewässern, nutzt allerdings nur ein einziges Motiv daraus, um es symbolisch in seiner verqueren Zwei-Mann-Liebesgeschichte zu platzieren: das Monster. Und das die meiste Zeit über auch nur in der Theorie. Zu sehen bekommen wir das unheimliche (und in den wenigen Momenten seines Auftritts verdammt realistisch aussehende) Wesen dagegen kaum; es ist auch gar nicht dafür da, dass der Zuschauer Angst vor ihm hat, sich gar erschrickt. Stattdessen geht es Jeremy Gardner vielmehr um die Veranschaulichung menschlicher (und männlicher!) Probleme, die in diesem stacheligen Geschöpf zur Personifizierung finden.

„After Midnight“ besteht die meiste Zeit über aus Dialogen, vorgetragen auf zwei verschiedenen Zeitebenen. Wir erleben die glückliche Zeit zwischen Hank und Abby im steten Wechsel mit jener Phase kurz nach Abbys Verschwinden und seit der Ankunft des Monsters, wenn Hank sich verbarrikadiert, mit dem Gewehr Jagd auf die Bedrohung macht und immer wieder daran verzweifelt, dass er eigentlich ganz genau weiß, wie unrealistisch die Existenz eines Monsters ist. Von dem wissen wir die meiste Zeit über übrigens gar nicht so recht, ob dies überhaupt existiert. Erst recht, weil alle Menschen um Hank herum immer wieder betonen, dass es für all die unheimlichen Vorkommnisse in seinem Haus auch ganz andere Erklärungen gibt. Momente der amourösen Harmonie zwischen den Liebenden wechseln sich ab mit melancholischem Unbehagen. Gruselig ist hieran nichts, wenngleich „After Midnight“ wirkungsvoll mit einer Sequenz beginnt, in der wir von Weitem Abby sehen, wie diese zu unterschwellig dröhnenden Klängen ganz langsam auf die Kamera zuläuft. Die Atmosphäre des Films ist von Anfang an verseucht; ein bisschen wie zuletzt etwa in David Robert Mitchells „It Follows“, nur ohne Jumpscares und Effekthascherei.

Jeremy Gardner hat das Spiel mit der Erwartungshaltung an klassische Genrefilme perfektioniert. Allein das Wissen darum, dass hier ja irgendwie ein Monster eine Rolle spielen soll, lässt das Publikum in Hab-Acht-Stellung lauern. Doch alles, was wir zu sehen bekommen, ist mal eine Pranke, wie sie durch einen offenen Türspalt langt, oder sind die überdeutlichen Kratzer am Äußeren des Hauses, die aber ebenso gut auch von einem Schwarzbären – wie es auch ein guter Freund von Hank mutmaßt – stammen könnten. Und tatsächlich spielt es für die Aussage von „After Midnight“ letztlich auch überhaupt keine Rolle, ob da draußen nun wirklich ein Monster lauert, oder nicht. Die oftmals langen Einstellungen (ein Dialog zwischen Abby und Hank kann hier schon mal zehn Minuten ohne einen einzigen Schnitt dauern, vieles wirkt improvisiert), in denen sich Hank seiner Abhängigkeit von Abby, Abby ihrer Abhängigkeit von Hank bewusst werden, die beiden ihre Versagensängste miteinander teilen und sie schließlich doch zu dem Schluss kommen, dass die beiden nur miteinander glücklich sind, heben die Kernthematik des Films deutlich hervor. Aber irgendwie gönnt man es Hank auch, dass er irgendwann hoffentlich die Gelegenheit bekommen wird, sich seiner Dämonen – pardon: seines Monsters – zu entledigen.

Ein etwas anderer Monsterfilm: „After Midnight“ ist eine melancholische Beziehungsparabel vor minimalistischem Setting, bei der Anspannung und Traurigkeit Hand in Hand gehen.

Antje Wessels