Alcarràs – Die letzte Ernte

Zum Vergrößern klicken

Carla Simón hat mit ihrem Film „Alcarràs“ ein schönes Stück Kino erschaffen, das ehrlich und einnehmend wirkt. So sehr, dass man sich irgendwann fast schon als Teil der Familie sieht und auch losziehen würde, um Pfirsiche zu ernten. Die Autorin und Regisseurin erzählt von einer Familie, die ihr Land verliert, und damit ihre Existenzgrundlage – aber einen letzten gemeinsamen Sommer gibt es noch.

Webseite: https://alcarras.piffl-medien.de/

Alcarràs
Spanien / Italien 2022
Regie: Carla Simón
Buch: Carla Simón, Arnau Vilaró
Darsteller: Jordi Pujol Dolcet, Anna Otin, Xènia Roset

Länge: 121 Minuten
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 11. August 2022

FILMKRITIK:

Seit 80 Jahren baut die Familie Solé Pfirsiche an. Doch dies ist der letzte Sommer, in dem sie das tun werden, weil es nie einen Vertrag darüber gab, dass sie das Land bestellen dürften. Damals reichte ein Handschlag, und der alte Pinyol hatte den Solés das Land überlassen. Sein Erbe interessiert sich nicht für Handschläge. Er will das Land zurück, und dort eine Photovoltaik-Anlage erreichten. Der Großvater gibt die Hoffnung nicht auf, dass der junge Pinyol noch einlenkt. Vater Quimet konzentriert sich auf die Ernte, die Kinder helfen allesamt, aber alle denken darüber nach, was am Ende dieses Sommers sein wird.

Simón wuchs auf einer solchen Plantage auf. Sie weiß, wovon sie redet. Vom Zusammenhalt, darüber, wie alle gemeinsam anpacken, um die Ernte einzufahren. Aber auch darüber, wie hart dieses Leben doch ist, und wie unendlich schön es doch zugleich sein kann. In den Momenten, in denen Simón nahe bei ihren Figuren bleibt, entsteht beim Zuschauer ein Gefühl von Verbundenheit. Man hat nicht das Gefühl, Schauspielern zuzuschauen – und dem ist auch nicht so.

Denn Simón setzt auf Laien. Auf echte Menschen. Sie bringen ihre Natürlichkeit mit ein. Nichts an diesem Film wirkt gestellt, alles erscheint so, als würde man Menschen gegenüberstehen, die man ebenso gut auf dem nächsten Bauernhof antreffen könnte. Das verleiht „Alcarras“ eine erstaunliche Losgelöstheit. Die Künstlichkeit jedes Schauspiels, die man ansonsten ausblendet, weil man von einer Geschichte und ihren Figuren unterhalten werden will, fehlt hier völlig. Dies sind echte Menschen, in einer echten Situation, und das außerhalb der Konventionen einer Dokumentation. Das wiederum macht den besonderen Reiz von „Alcarras“ aus.

Simón erzählt von der Verbundenheit zum Land – etwas, das sie bei ihrer eigenen Familie gespürt hat, die ihr Land noch immer bestellt. Aber sie hatte das Gefühl, dass das alles eines Tages enden könnte, und daraus entwickelte sich diese Geschichte von der letzten Ernte, die mit traumhaft schönen Bildern erzählt ist. Ein Film über das echte Leben, über echte Menschen, über eine Welt, in der das Schöne nur zu oft dem Hässlichen weichen muss.

Dies ist bravouröses Kino, dessen eindringlicher Gefühlswelt man sich nicht entziehen kann.

 

Peter Osteried