Alexander McQueen – Der Film

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Vom Tellerwäscher zum Millionär? Das geht auch vom einfachen Arbeiterkind zum gefeierten Mode-Guru! Lee Alexander McQueen, Sohn eines schottischen Taxifahrers, avancierte in den 90er Jahren zum kreativen Tausendsassa der Fashion-Szene. Seine Shows sorgen für Skandale. McQueen wird prompt als talentiertes Enfant terrible gefeiert. Das Pariser Luxus-Label Givenchy engagiert den britischen Mode-Punk als Star-Designer, später gibt Tom Ford den finanzkräftigen Mentor. Die Kehrseite des Ruhms lässt nicht auf sich warten: Drogen. Einsamkeit. Suizid mit 40. Zu den pompösen Klängen von Michael Nyman sowie gut sortiertem Archivmaterial entsteht eine sehr gelungene Hommage an das provokativ tapfere Schneiderlein. Nicht umsonst sagt McQueen: „Für mich ist das Leben ein bisschen wie die Märchen der Gebrüder Grimm.“

Webseite: www.alexander-mcqueen.de

GB 2018
Regie: Ian Bonhôte und Peter Ettedgu
Darsteller: Alexander McQueen, Isabella Blow, Romeo Gigli, Bobby Hillson, Alice Smith, Sebastian Pons, Detmar Blow
Filmlänge: 111 Minuten
Verleih: Prokino
Vermietung: 24 Bilder Filmagentur
Kinostart: 29.11.2018

FILMKRITIK:

Das kleine Schwarze für Sharon Stone wird schon mal spontan per Kurier im Concorde-Flieger nach New York gebracht. Die Versandkosten dürften bei den happigen Preisen für den angesagten Designer Alexander McQueen kaum ins Gewicht fallen. Der Schneider aus Schottland kennt durchaus andere Zeiten. Zu Beginn der Karriere kauft er sich seine Stoffe vom Arbeitslosengeld. Bisweilen reicht eine Rolle Frischhaltefolie als Material für ein ganzes Kleid. Oder Reifenabdrücke sorgen für das Muster. Selbst bei den ersten Shows sollen die klammen Finanzen lediglich zur Feier im Fast Food-Restaurant gereicht haben. An Anekdoten wie diesen herrscht kein Mangel in dieser Dokumentation über den außergewöhnlichen Modemacher, der in den 90er Jahren zum kreativen Tausendsassa avancierte. Freunde, Familie und Weggefährten kommen reichlich zu Wort. Der Meister selbst plaudert (in bislang unveröffentlichten Archivbildern) gleichfalls gerne aus dem Nähkästchen.   
 
„Niemand entdeckte Alexander McQueen. Er hat sich selbst entdeckt!“ gibt ein Freund gleich zu Beginn zu Protokoll. Tatsächlich hat es der pummelige Junge aus dem Londoner East End mit viel Fleiß, großem Talent und enormer Fantasie aus kleinsten Verhältnissen ganz nach oben geschafft.

„Er wusste nach der Schule nicht, was er wollte” berichtet die Mutter. So beginnt er eine Schneiderlehre. Schwester Janet. sein erstes Modell, findet die Shirts des Bruders stets zu eng. Nach einem Ausflug nach Italien versucht McQueen sein Glück am Saint Martin’s College, der Kaderschmiede junger Designer. Ohne Qualifikationen und ohne Geld ein schier aussichtsloser Plan. Doch Frechheit siegt, Schulleiterin Bobby Hillson ist sofort begeistert vom unkonventionellen Aspiranten, Tante Renee übernimmt das Schulgeld. „Ein Albtraum-Student“ erinnern sich Dozenten. Die schrille Stylistin Isabella Blow erkennt schnell das Talent des Newcomers und wird zur lebenslangen Freundin und Mentorin. Ihr verdankt Lee auch die clevere Marketing-Idee, nur den Mittelnamen als Mode-Label zu verwenden.
 
Unterteilt in fünf Kapitel, den Titeln seiner Mode-Schauen, wird der rasante Aufstieg des kreativen Rebellen bis zu dessen tragischem Ende illustriert. „Meine Shows handeln von Sex, Drugs und Rock'n Roll. Mir geht es um Aufregung und Gänsehaut. Ich will Herzinfarkte. Ich will Rettungswagen“, beschreibt der Künstler seine Absichten. Die Provokation gelingt, seine „The Highland Rape“-Show sorgt für massive Schlagzeilen: McQueen der Rüpel, ein Menschenfeind und Frauenverächter trommelt der Boulevard. „Ich will Menschen zwingen, sich die Dinge anzusehen“, kontert der Mode-Punk. Als das französische Luxus-Lable Givenchy dem Enfant Terrible mit 27 Jahren ein unwiderstehliches Angebot macht, fließen Kohle und Koks in Strömen. „It’s a jungle out there“, nennt der Rebell seine Pariser Laufsteg-Parade. Der parfümierte Pomp macht den bodenständigen Briten nicht lange glücklich. Erst zurück in London kann er wieder auf die Punk-Pauke hauen: In „Voss“ tragen seine Models allesamt Verbände. Als Höhepunkt wird ein sehr dicke Frau mit Gasmaske präsentiert, derweil das Publikum sich im Spiegel selber sieht.
 
Mit großer Eleganz und Empathie entwickeln die Doku-Filmer Ian Bonhôte und Peter Ettedgu das facettenreiche Porträt eines außergewöhnlichen Künstlers. Sorgfältig recherchiert und mit eindrucksvollem Bildmaterial ausgestattet, entwickelt sich eine unterhaltsame Hommage an diesen jungen Wilden. Im Unterschied zu vielen Biopics bleibt man vom öden Ghandi-Syndrom verschont: Keine verklärte Denkmalpflege mit Heiligenschein-Politur. Da fallen auch schon einmal harte Worte über den Menschen, der offensichtlich niemandem vertrauen wollte. Der sich wohl nicht immer ganz loyal verhält. Dem das viele Geld nicht gut bekommt. Man erfährt zugleich von den Wunden seiner Seele, vom sexuellen Missbrauch als Kind durch einen Onkel. Oder wie er den Freitod seiner engsten Freundin nicht verkraften kann. Am Tag der Beerdigung seiner geliebten Mutter nimmt sich Lee McQueen 2010 mit 40 Jahren in seiner Wohnung das Leben.
 
Die Faszination für den Avantgardisten ist ungebrochen. Die Ausstellung „Savage Beauty“ sorgt 2011 im New Yorker Metropolitian Museum für Besucherrekorde und wird vier Jahre später im Londoner Victoria & Albert Museum zur erfolgreichsten Ausstellung aller Zeiten. Dass sein Laufsteg nun bis auf die Leinwand reicht, ist da nur konsequent und sehr gelungen. Wie sagt der Sohn eines Taxifahrers so treffend: „Für mich ist das Leben ein bisschen wie die Märchen der Gebrüder Grimm.“
 
Dieter Oßwald