Alles, was man braucht

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Gerade Großstädter verklären Leben auf dem Land gern, doch tatsächliches Leben in den nicht nur abgelegenen, sondern oft auch wirtschaftlich abgehängten Regionen Deutschlands ist nicht immer einfach. Antje Hubert porträtiert in ihrem Dokumentarfilm „Alles, was man braucht“ Menschen, die in unterschiedlichen Lebenssituationen auf dem Land leben – und vermeidet dabei Verklärung oder Idealisierung.

Deutschland 2021
Regie: Antje Hubert
Dokumentarfilm
Länge: 98 Minuten
Verleih: Imfilm
Kinostart: 28. April 2022

FILMKRITIK:

Der gute alte Tante Emma Laden scheint ausgedient zu haben. Ersetzt wurde er durch Supermärkte und Discounter von Edeka bis REWE und Aldi bis Lidl. Gerade für kleinere Ortschaften und Dörfer ist der Verlust der kleinen Geschäfte mehr als der Verlust von einem oder zwei Arbeitsplätzen, sondern viel mehr: Der Verlust eines Treffpunktes, einem improvisierten Gemeindezentrum, einem Ort, an dem man sich zufällig begegnet, ein bisschen quatscht und das Dorfleben lebendig bleibt.

Die Menschen, die solche Läden im Norden Deutschlands betreiben stehen im Mittelpunkt von Antje Huberts Dokumentarfilm „Alles, was man braucht“, Menschen, die ihre festen Jobs aufgegeben haben, um zumindest in Teilzeit einen Dorfladen zu führen, die bewusst aus dem Hamsterrad eines festen Arbeitsverhältnissen ausgestiegen sind, um etwas Neues auszuprobieren.

Dabei wiederholen sich die Geschichten: Früher war der Dorfladen nicht wegzudenken, gab es kleine, spezialisierte Geschäfte, bis dann irgendwann ein großer Supermarkt aufmachte, der die kleinen Geschäfte nach und nach verdrängt – bis er dann gerne selber von einem noch größeren Supermarkt in der nächstgelegenen Stadt verdrängt wird.

So ging es in Huberts Heimatdorf in der Lüneburger Heide, doch dort haben die Dorfbewohner die Entwicklung umgedreht: Wo früher ein Edeka war, der längst dicht gemacht hatte, eröffnet nun ein Tante Hanna-Laden, der von einer Initiative der Bewohner betrieben wird. Die Auswahl an Waren ist zwar geringer, doch dafür hat man ein Geschäft in unmittelbarer Nähe und muss nicht immer gleich ins Auto steigen, wenn man einkaufen will.

Und darum geht es in „Alles, was man braucht“: Um die Frage, was man wirklich braucht, ob man wirklich all das braucht, was man in einem riesigen Supermarkt (als Beispiel für Konsumtempel aller Art) kaufen könnte. Ist es notwendig, zehn verschiedene Sorten Erdbeermarmelade zur Auswahl zu haben? Oder acht verschiedene Waschmittel? Oder die Möglichkeit zu haben, noch am Abend mehr oder weniger frische Brötchen kaufen zu können?

All diese Fragen wirft Antje Hubert auf, ohne ein dogmatisches Plädoyer auf Verzicht abzuliefern. Zwar zeigt sie schöne Aufnahmen vom Leben auf dem Land, von weiten Feldern und einsamen Deichen, doch dass das Leben auf dem Land gewiss nichts für alle ist, dass wird nie angezweifelt. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, in der Gegenwart sein Leben zu gestalten. Die großen Entwicklungen der Gesellschaft umzudrehen wird kaum gelingen, zu sehr dominiert das Verlangen nach unbegrenztem Konsum die westlichen Gesellschaften. Doch für manche Menschen, vielleicht nicht viele, aber doch eine langsam wachsende Zahl, sind Dorfläden und das Leben, dass mit ihnen verbunden ist, eine attraktive Alternative, die Antje Hubert in ihrem Film porträtiert.

 

Michael Meyns