Als Susan Sontag im Publikum saß

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Wo steht der Feminismus heute? Welchen Weg hat er in den letzten 50 Jahren genommen? Große Fragen wirft RP Kahls Film „Als Susan Sontag im Publikum saß“ auf, der eine legendäre Diskussion über Feminismus, die 1971 in New York stattfand, als Ausgangspunkt für eine vielschichtige Reflexion über ein Thema nimmt, das nichts von seiner Relevanz verloren hat – im Gegenteil.

Deutschland 2021
Regie: RP Kahl
Buch: Saralisa Volm & RP Kahl
Darsteller: Saralisa Volm, Luise Helm, Heike-Melba Fendel, Celine Yildirim, RP Kahl, Cynthia Buchheim, Stefanie Schuster
Länge: 86 Minuten
Verleih: Independent Partners/ Real Fiction
Kinostart: 5. Mai 2022

FILMKRITIK:

Ausgerechnet Norman Mailer war es, der am 30. April 1971 diverse weibliche Intellektuelle in die Town Hall von New York einlud, um zum Thema „A Dialogue on Women’s Liberation/ Ein Dialog über die Befreiung der Frauen“ zu diskutieren. Ausgerechnet Mailer, weil sich Mailer Zeit seines Lebens als Macho gerierte, brillante Bücher schrieb, aber auch im Affekt auf einer Party mit einem Messer auf seine Ehefrau einstach; der sich für die Gleichberechtigung der Schwarzen einsetzte, die Frauen, die hier neben ihm auf dem Podium sitzen, aber konsequent als Ladies bezeichnet – bis ihn Susan Sontag auf seine chauvinistische Art hinweist.

50 Jahre später inszenierte der Autor und Regisseur RP Kahl im Berliner Ballhaus Ost ein Reenactment der Veranstaltung, in der Kahl selbst Mailer spielt. Die vier Gäste auf dem Podium waren Germaine Greer (Saralisa Volm), australische Schriftstellerin, die als eine der einflussreichsten Feministinnen des 20. Jahrhunderts gilt, Jill Johnston (Luise Helm) eine amerikanische Journalistin und LGBT-Aktivistin, Diana Trilling (Heike-Melba Fendel), eine amerikanische Literaturkritikerin und Jaqueline Ceballos (Celine Yildirim) Präsidentin der NOW, der National Organziation for Women.

Aus diesem Projekt entstand der Film „Als Susan Sontag im Publikum saß“, ein Film, der schwer zu verorten ist. Zum Teil ein Doku-Drama, das die Veranstaltung präzise, in deutscher Übersetzung nachstellt, vor allem aber eine Art Making Of, ein Blick hinter die Dreharbeiten des vorliegenden Film selbst. Da sieht man die DarstellerInnen über ihre Rollen reflektieren, über die Positionen, die sie als Rolle einnehmen, vor allem aber über die Frage, inwieweit sich diese Positionen im Lauf der Jahre verändert haben.

Passenderweise hat RP Kahl Frauen gecastet, die aus unterschiedlichen Generationen kommen, die teils 1961 geboren sind, teils erst 1991, teils im Westen Deutschlands, teils im Osten. Unterschiedliche Blicke auf Feminismus haben die Schauspielerinnen dementsprechend, allein die Verwendung, die Selbstzuschreibung als Feministin sorgt für einige Diskussion, aber auch Fragen des Rechtssystems oder des Sex.

Kurzweilig und erhellend ist das, erhebt keinerlei Anspruch auf eine endgültige Beantwortung von Fragen, die zum einen kaum zu beantworten sind, zum anderen in den letzten Jahren oft so dogmatisch verhandelt werden, dass gerade eine Diskussion um Grauzonen und Ambivalenzen immer schwieriger wird.

Nicht zuletzt macht „Als Susan Sontag im Publikum saß“ Lust, sich mit den Texten von Mailer oder Greer zu beschäftigen oder auch den Dokumentarfilm „Town Bloody Hall“ zu sehen, den die legendären Direct Cinema-Regisseure Chris Hegedus und D.A. Pennebaker über die Veranstaltung von 1971 gedreht hatten, um die Diskussion über ein Thema weiterzuführen, dass nach wie vor allergrößte Relevanz besitzt.

 

Michael Meyns