Ammonite

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Mit seiner rigorosen Bauern-Lovestory „God’s Own Country“ lieferte er ein bravouröses Debüt. In seinem zweiten Streich erzählt der Brite Francis Lee mit ähnlich emotionaler Wucht die Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts. Oscar-Preisträgerin Kate Winslet gibt die vom Leben enttäuschte Fossilien-Händlerin in der Provinz, der von einer jungen Besucherin gehörig der Kopf verdreht wird. Glaubhafte Figuren, eine exzellente Besetzung sowie atmosphärisch dichte Bilder bieten eine zauberhafte Liebesgeschichte der bewegenden Art.
OSCAR-verdächtig!
(Und ausgestattet mit einem echten Hingucker-Plakat!)

Webseite: https://tobis.de/film/ammonite

UK 2020
Regie und Drehbuch: Francis Lee
Darsteller: Kate Winslet, Saoirse Ronan, Gemma Jones, James McArdle
Filmlänge: 117 Minuten
Verleih: Tobis Film GmbH
Kinostart: 4.11.2021

FILMKRITIK:

„Ich wollte Sie nicht dabeihaben. Ihr Mann zahlt dafür!“ Mary (Kate Winslet) reagiert ruppig auf ihre neue Begleitung Charlotte (Saoirse Ronan). Tatsächlich hat deren wohlhabender Mann ein üppiges Honorar gezahlt, damit sich Mary für vier Wochen um seine gesundheitlich angeschlagene, junge Gattin kümmert und er ungehindert in den Urlaub reisen kann. Widerwillig hat Mary dem lukrativen Angebot zugestimmt, kann sie das Geld doch dringend brauchen. Der Verkauf von Fossilien an Touristen im kleinen Laden läuft mehr schlecht als recht. Die betagte Mutter ist sichtlich angeschlagen. Zudem leidet Mary darunter, wie ihr autodidaktisch gesammeltes Wissen als Paläontologin vom männlich dominierten Forschungsbetrieb hochnäsig ignoriert wird. Enttäuscht zog sich Mary in ein Provinznest an der Küste im Südwesten Englands zurück. Bei Wind und Wetter sucht sie am Strand nach angeschwemmten Versteinerungen, jenen titelgebenden Ammoniten. Nicht selten wirkt die Heldin selbst wie versteinert, hat ihr das Schicksal doch immer wieder unsanft mitgespielt. Mit der Ankunft von Charlotte werden die Karten fortan jedoch neu gemischt.

Der frostigen Ablehnung von Mary zu Beginn, folgt bald die zunehmende Annäherung. Als Charlotte nach einem Bad im kalten Meer erkrankt, wird sie auf Bitte des charmanten Arztes (Alec Secareanu aus „God’s Own Country“) im Haus von Mary gepflegt. „Bewusstlos wären Sie mir lieber“, wehrt die Hausherrin die neugierigen Fragen ihres Gastes ab. Doch schon in der Nacht werden die beiden ungleichen Frauen gemeinsam das einzige Bett teilen - der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die sich zunehmend zur leidenschaftlichen Liebe entwickelt. Das große Glück scheint bedroht, als der Gatte von Charlotte im Brief seine Rückkehr ankündigt. Die junge Frau will um ihre große Liebe jedoch kämpfen und so fasst sie rigorose Pläne...

„Das ist ein zutiefst persönlicher Film. Eine Betrachtung darüber, wie wir lernen, wieder zu lieben, nachdem wir verletzt wurden. Wie wir offen genug sein können, um zu lieben und geliebt zu werden. Wie wir etwas akzeptieren, vergeben und lernen können, durch die Kraft einer wahren, intimen Verbindung“, erläutert Regisseur und Autor Francis Lee sein Drama. Was pathetisch klingen mag, überzeugt auf der Leinwand durch großartige Wahrhaftigkeit, meilenweit von Kitsch entfernt. Wie in „God’s Own Country“ setzt Lee auf atmosphärisch dichte Bilder der exquisiten Art. Die raue Klippen-Landschaft am Strand der „Jurassic Coast“ wirkt wie aus einem Gemälde von William Turner. Mit psychologischer Präzision sind die Figuren plausibel gezeichnet. Mit großer Glaubwürdigkeit werden sie gespielt.

Wie schon in „Der Vorleser“ zeigt Oscar-Preisträgerin (und sechsfach (!) nominierte Kandidatin) Kate Winslet wenig Scheu vor Nacktszenen. Nicht minder freizügig präsentiert sich (die bereits vierfach (!) für den Oscar nominierte) Saoirse Ronan. Wie perfekt die Chemie zwischen diesen beiden hochkarätigen Stars stimmt, spürt man bereits bei deren erster Begegnung. Die anfänglichen Zickigkeiten geraten so glaubhaft wie die späteren Zärtlichkeiten. Kleine Gesten genügen dem famosen Schauspiel-Duo für die überzeugende Darstellung ihrer Gefühlswelten. Winzige Details unterstreichen unaufdringlich die Wahrhaftigkeit: Man betrachte nur die zerschundenen Fingernägel der Oscar-Lady als Steinesammlerin.

Gewidmet ist die Lovestory der echten Mary Anning (1799-1847) aus dem englischen Küstenort Lyme Regis in Dorset. Sie gilt historisch als eine der ersten Paläontologinnen weltweit. Ihr filmisches Denkmal dürfte mit einigen Oscars veredelt werden!

Dieter Oßwald