Baghdad in my Shadow

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In einem Londoner Café trifft sich eine bunte Schar irakischer Migranten, deren Leben durch einen radikalisierten Jugendlichen bedroht wird. Der Schauplatz des harmonischen Austauschs wird zum Ort der Gefahr. Der inhaltlich vielfältige, symbolisch aufgeladene Ensemblefilm „Baghdad in my Shadow“ prangert den Terror und die Verfolgung von Menschen im Irak an. Es geht um Schwulenhass, Atheismus, Selbstbestimmung und kulturelle Identität. Der Film befasst sich intensiv mit Religion, Politik und der islamisch-arabischen Kultur, leidet jedoch unter einer theatralischen Inszenierung und unnötigen Thriller-Elementen.

Website: https://www.arsenalfilm.de/baghdad-in-my-shadow/

Deutschland, Schweiz, Großbritannien 2021
Regie: Samir
Drehbuch: Samir, Furat Al Jamil
Darsteller: Haitham Ali, Zahraa Ghandour, Waseem Abbas,
Shervin Alenabi, Maxim Mehmet
Länge: 105 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 30.9.2021

FILMKRITIK:

Das Londoner Café Abu Nawas wird von einem kurdischen Aktivisten (Kae Bahar) geführt und ist ein beliebter Treffpunkt von Exil-Irakern. Dazu gehört die Architektin Amal (Zahraa Ghandour), die vor ihrem Mann aus dem Irak geflohen ist und nebenbei im Abu Nawas arbeitet. Dort trifft sie fast täglich auf Menschen wie den schwulen IT-Techniker Muhanad (Waseem Abbas). Oder den Nachtwächter Taufik (Haitham Ali), ein gescheiterter Schriftsteller. Auch Nassir (Shervin Alenabi), Taufiks Neffe, taucht im Café auf. Der strenggläubige Moslem steht unter dem Einfluss eines salafistischen Predigers einer nahen Gemeinde. Selbst in der Abgeschiedenheit Londons, weit weg vom Irak, droht den Geflüchteten Gefahr: Denn Amals Mann taucht in London auf und Nassir soll auf Befehl des Predigers gegen die „gottlosen Ungläubigen“ vorgehen.

„Baghdad in my Shadow“ ist der erste Film des Schweizer Regisseurs Samir seit der von Kritik und Publikum gefeierten Doku „Iraqi Odyssey“ (2014). Samir weiß, wovon er spricht und er kennt das Leben im Irak sehr gut: In der Hauptstadt Bagdad geboren, verbrachte er seine halbe Kindheit in dem Land. In „Baghdad in my Shadow“ nun thematisiert er eine ganze Reihe an politisch hochbrisanten Inhalten sowie gesellschaftskritischen Aspekten. Es handelt sich letztlich sogar um die drei großen Streitthemen, nicht nur im Irak, sondern in der ganzen Welt der strenggläubigen Muslime: Atheismus, Homosexualität und die Rechte der Frau.

Samir schreibt dies den jeweiligen Figuren zu und er formuliert seine Kritik an den radikalen religiösen Ansichten und dem rückständigen (politischen) Systems Iraks anhand seiner Protagonisten. Die Kritik am Umgang mit Homosexuellen etwa manifestiert sich in Form von Muhanad, der den Irak aufgrund der Gewalt an Schwulen vor kurzem verließ. Amal steht exemplarisch für die Unterdrückung der Frau in einem patriarchalen System. Samir macht darüber hinaus noch weit mehr Faktoren zum Gegenstand seiner Kritik.

Taufik etwa steht exemplarisch für den Kampf um die Freiheit der Kunst. Denn in seiner Heimat konnte der Autor und Poet nicht das schreiben und veröffentlichen, was ihn tatsächlich umtreibt. Denn er ist Atheist und Ungläubige werden im Irak verfolgt. Darüber hinaus geht es in „Baghdad in my Shadow“ um den Konflikt zwischen der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaft, der Radikalisierung junger Männer und die Suche nach der eigenen Identität.

Dass Samir seine Charaktere beispielhaft für all dies stehen lässt und sie solch unterschiedliche Hintergründe sowie Biografien und ebenso ambivalente Wesenszüge aufweisen, ist die große Stärke des Films. Samir verzichtet auf eine Schwarz-Weiß-Zeichnung und zeigt vielmehr die Grautöne, die Nuancen und die Komplexität des Menschseins. Hinzu kommt, dass alle Schauspieler in der Lage sind, ihre Rollen glaubhaft und ungekünstelt zu verkörpern. Diese Fülle an Themen und die ebenfalls hohe Zahl an Haupt- und Nebenfiguren sind andererseits sehr herausfordernd und werden von manchen Regisseuren in ganzen Serien behandelt. Dazu kommen die verschiedenen, parallel ablaufenden Zeit- und Handlungsebenen. Der Zuschauer muss dem Geschehen konzentriert und aufmerksam folgen.

Nicht gebraucht hätte es die Thriller-Elemente um Amals (Ex-) Mann und die Verbindungen rund um den Salafisten-Prediger. Sie blähen die ohnehin üppige Handlung noch weiter auf. Bisweilen neigt Samir zudem zu einer theatralischen, fast reißerischen Inszenierung, die auf die Emotionen des Zuschauers abzielt. Gerade durch den übertriebenen Einsatz der Zeitlupe. Das zeigt sich auch im eskalierenden Finale, das Samir aufgrund des Slow-Motion-Einsatzes und der verlangsamten Bilder überzogen bedeutungsvoll und plakativ in Szene setzt.

Björn Schneider