Der anatolische Leopard

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Eine große Metapher ist „Der anatolische Leopard“, der Debütfilm Emre Kayis. Den Wandel der Zeiten beschreibt der türkischen Regisseur, die Veränderungen in der Türkei, das Entstehen von Neuem, das Verschwinden des Alten. Im Mittelpunkt steht ein Zoodirektor, der nicht um sein Lebenswerk kämpft, sondern apathisch zusieht, wie es vergeht. Ein atmosphärisches, melancholisches Werk ohne viel Hoffnung.

Anadolu Leopardi
Türkei/ Deutschland/ Dänemark/ Polen 2021
Regie & Buch: Emre Kayis
Darsteller: Ugur Polat, Hatice Aslan, Tansu Bicer, Ezgi Gör, Seyithan Özdemir, Muttalip Müjdeci, Osman Alkas

Länge: 108 Minuten
Verleih: déjà-vu Film
Kinostart: 24. November 2022

FILMKRITIK:

Die Zeiten ändern sich, auch in der Türkei, auch für den Zoo von Ankara. Arabische Investoren wollen das langsam verfallende Gelände kaufen, um darauf einen Vergnügungspark zu errichten. Der Deal ist längst abgeschlossen, allein ein Tier verhindert den Beginn der Bauarbeiten: Der anatolische Leopard, eine geschützte Tierart, ein Wesen also, das in dieser speziellen Situation besondere Aufmerksamkeit zukommt.

Wirkliche Hoffnung scheint der Zoodirektor Fikret (Ugur Polat) allerdings nicht mehr zu haben, um zu kämpfen, ist er nicht unbedingt zu alt, aber viel zu müde. In einem Café neben dem Zoo trinkt er tagsüber Tee, abends einen Drink, sinniert über sein Schicksal, sein Leben, das er verschwendet zu haben glaubt. Seine Ehe ist geschieden, seine Tochter beachtet ihn kaum, sein Lebenswerk der Zoo, zieht kaum noch Besucher an.

Als Fikret eines morgens den Leopard Tod auffindet, scheint das Ende des Zoos endgültig besiegelt. Doch Fikret verheimlicht den Autoritäten die Nachricht, spielt mit, als der Verdacht aufkommt, der Leopard sei entführt worden. Selbst im Fernsehen wird nach dem Tier gefahndet, doch Hoffnung in eine Rettung des Zoos kann nicht entstehen.

Regisseur Emre Kayis stammt selbst aus Ankara und hat sich vom lokalen Zoo und dessen Verfall zu seinem Debütfilm inspirieren lassen. Vor allem aber vom Wandel in der Türkei, auch wenn er sich hütet, allzu konkret auf die Folgen der Politik des seit Jahren mit zunehmender Macht und Autorität regierenden Präsidenten Recep Erdogan einzugehen. Eine gewisse Zeit- und Ortlosigkeit zieht sich dadurch durch „Der anatolische Leopard“, ob die Geschichte heute, vor oder in zehn Jahren spielt, ob der Schauplatz die Hauptstadt Ankara oder eine andere Stadt sein soll, lässt Kayis bewusst offen. Und auch inhaltlich streift er das Mythologische, lässt Figuren aus der griechischen Mythologie oder Shakespeare zitieren, verwendet lieber eine Metapher zu viel als zu wenig.

Etwas manieriert mutet sein Film dadurch an, eben wie ein Debütfilm, in den sein Autor und Regisseur sehr viel packt, manchmal auch zu viel. Es sind voll allem die streng komponierten Breitwandbilder und der Hauptdarsteller Ugur Polat, die über die manchmal aufgesetzt anmutende Bedeutungsschwere hinwegsehen lassen. Bewegt sich das Geschehen anfangs noch in engen, dunklen Räumen, öffnet es sich später, wenn sich die Geschichte aus der Stadt hinaus bewegt und zeigt die Weite der türkischen Landschaft.

Was sich kaum bewegt ist die verschlossene Mimik von Ugur Polat, ein in der Türkei sehr bekannter Film- und Theaterschauspieler, der in fast jeder Einstellung zu sehen ist. Wie ein Repräsentant der alten Türkei wirkt seine Figur, wie ein Mann, der längst zum alten Eisen gehört, der seine Überflüssigkeit erkannt, aber noch nicht akzeptiert hat. Hoffnungsvoll ist es nicht, was Emre Kayis hier zeigt, dafür von einer atmosphärischen Melancholie getragen, die der Stimmung in manchen Teilen der Türkei entsprechen dürfte.

 

Michael Meyns