Der Mauretanier

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Guantanamo. Kaum etwas beschreibt das moralische Versagen der USA so sehr wie das Lager auf Kuba, in dem angebliche Terroristen Jahrelang weggesperrt wurden. Unter ihnen Mohamedou Ould Slahi, dessen Schicksal Kevin Macdonald in „Der Mauretanier“ als Mischung aus Dokudrama, Gerichtsfilm und moralischem Pamphlet verfilmt - mit u.a. Jodie Foster und Benedict Cumberbatch.

Website: https://tobis.de/

.GB/ USA 2021
Regie: Kevin Macdonald
Buch: M.B. Traven, Rory Haines, Shorab Noshirvani, nach dem Sachbuch Guantanamo Diary von Mohamedou Ould Slahi
Darsteller: Jodie Foster, Tahar Rahim, Benedict Cumberbatch, Shailene Woodley, Zachary Levi, Saamer Usmani
Länge: 129 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 24. Juni 2021

FILMKRITIK:

Im November 2001, zwei Monate nach den Anschlägen vom elften September, wurde Mohamedou Ould Slahi (Tahar Raim) in seiner mauretanischen Heimat verhaftet. Erst 15 Jahre später wurde er frei gelassen und das, obwohl im eine Schuld, eine Verbindung zu den Anschlägen, nie nachgewiesen werden konnte. Ob Slahi tatsächlich vollständig unschuldig ist, ist eine offene Frage, die Kevin Macdonalds filmt in allzu großer Vorsicht umschifft, auch wenn sie unmittelbar zum moralischen Kern von „Der Mauretanier“ führt. Denn auch wenn Slahi, wie angedeutet wird, in jüngeren Jahren Verbindungen zu Al Qaida hatte, auch wenn die Geldflüsse zwischen seiner Hamburger Wahlheimat und Mauretanien bzw. Afghanistan tatsächlich nicht zur Unterstützung seiner Eltern, sondern des Dschihad flossen: Was in Guantanamo und anderen amerikanischen bzw. von den Amerikanern kontrollierten Gefängnissen geschah steht all den Werten entgegen, für die Amerika angeblich steht und in den Krieg zieht.

Habeas Corpus heißt das Stichwort, das in allen Rechtssystemen verbriefte Grundrecht, dass jeder Gefangene in akzeptabler Zeit einem Richter vorgeführt wird und erfährt, wie die Anklage lautet. Genau dieses fundamentale Recht hat Amerika mit Füßen getreten, hat Menschen, die dem Bild des Terroristen entsprachen, eingesperrt, hat unter Folter Geständnisse erpresst und sich jahrelang geweigert, tatsächlich Prozesse zu beginnen.
Doch auch in Amerika gab es Anwälte, die diesen rechtlichen und moralischen Skandal nicht mit ansehen wollten und den langen Weg durch die Institutionen und Instanzen begannen. Nicht um speziell diesem oder jenem Gefangenen zu helfen, sondern um das Rechtssystem als Ganzes zu bewahren. Eine dieser Anwälte war Nancy Hollander (Jodie Foster), die durch Zufall von Mohamedou Ould Slahi erfuhr und begann, ihn pro bono, also ohne Bezahlung zu verteidigen. Ihr Gegenüber stand Lt. Col. Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), der Ankläger der Regierung, der vielleicht nicht zufällig mit dem Fall betraut wurde. Ein guter Freund Couchs war an Bord des Flugzeugs, dass in den Südturm des World Trade Centers gelenkt wurde, eine persönliche Ebene, die den bekennenden Christen jedoch nicht davon abhielt, das Unrecht zu erkennen, zu dessen Teil er zu werden drohte. Was – dramaturgisch gesprochen – dazu führt, dass beide Seiten letztlich die Freilassung Slahis befürworten.

Ein klassisches Gerichtsdrama ist „The Mauritanien“ also nicht, deckt auch keinen bislang unbekannten Skandal auf, denn sein grausames Schicksal hat Slahi selbst in einer Autobiographie beschrieben, die auch in Deutschland ein Bestseller war. Was Kevin Macdonalds Film daher tut, ist in oft schwer zu ertragender Unmittelbarkeit die langen Jahre zu schildern, die Slahi hinter Gittern, in wechselnden amerikanischen Gefängnissen, unter vielfältigen Foltermethoden erleiden musste. Zumindest in Tahar Rahims Darstellung bewahrte Slahi dabei schier unmenschliche Würde, gab sich nie auf, bewahrte trotz allem die Hoffnung auf das gute im amerikanischen Rechtssystem.

Doch auch nachdem ein Gericht entschied, dass er freigelassen werden sollte, dauerte es noch sieben Jahre, bis er tatsächlich freigelassen wurde. Diesmal war es die Obama-Administration, die sich sträubte, die trotz aller Versprechungen nicht dazu in der Lage war, Guantanamo zu schließen, das Unrechtssystem zu beenden. „Der Mauretanier“ zeichnet einen Guantanamo-Fall nach, der keineswegs besonders speziell ist, der nur besonders gut dokumentiert ist. Vor allem als Fanal über die moralischen Abgründe, in die auch eine Supermacht abdriften kann, überzeugt Kevin Macdonalds eindringliches Drama.

Michael Meyns