Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän

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„Macht euch die Erde untertan“ heißt es in der Bibel, eine Aufforderung, der der Mensch mit Nachdruck gefolgt ist. So sehr beherrscht der Mensch seinen Heimatplaneten, dass er die Erde mehr verändert als die Natur selbst. Welche Folgen dies hat zeigen Jennifer Baichwal, Nicholas De Pencier und Edward Burtynsky in ihrer visuell eindrucksvollen Dokumentation „Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän.“

Website: https://happy-entertainment.de/die-epoche-des-menschen/

Anthropocene: The Human Epoch
Dokumentation
Kanada 2018
Regie: Jennifer Baichwal, Nicholas De Pencier, Edward Burtynsky
Länge: 87 Minuten
Verleih: Happy Entertainment
Kinostart: 10. September

FILMKRITIK:

Endlose Felder, die in geometrischen Formen bis zum Horizont reichen; fluoreszierende Becken, in denen Wasser verdunstet und Lithium gewonnen wird; gigantische Felsen aus Marmor, zwischen denen winzig kleine Menschen Brocken des Gesteins herausbrechen; langsam und unermüdliche arbeitende Schaufelradbagger, die im Tagebau Kohle abbauen. Es sind eindrucksvolle Bilder, die das Regie-Trio Jennifer Baichwal, Nicholas De Pencier, Edward Burtynsky für seine Dokumentation „Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän“ in aller Welt zusammengetragen hat, Bilder, die so schön und oft atemberaubend sind, dass sie leicht vergessen lassen, dass es hier eigentlich um das Gegenteil geht: Darauf aufmerksam zu machen, wie sehr der Mensch inzwischen seine Umwelt prägt, wie sehr er die Erde verändert, sie beherrscht – und dabei ist, sie zu zerstören.

Vor gut 20 Jahren haben Wissenschaftler für diese Entwicklung den Begriff Anthropozän geprägt, der ein neues Erdzeitalter bezeichnen soll: Nicht mehr die Erde, die Natur selbst bestimmt die Geschicke in erster Linie, sondern der Mensch. Trotz aller Naturereignisse, trotz aller Erdbeben, Stürme oder Unwetter, ist es inzwischen erwiesenermaßen der Mensch, der größere Veränderungen vornimmt. Sei es durch Bergbau, Landwirtschaft, Rodung von Wäldern oder fortschreitender Verstädterung, der Mensch hat den Auftrag aus der Genesis, sich die Erde untertan zu machen, so ernst genommen und so erfolgreich ausgeführt, dass er nun in immer rasanterer Geschwindigkeit dabei ist, die Basis seiner Existenz und seines Überlebens zu vernichten.

Darauf aufmerksam zu machen ist ein ebenso hehres wie schwieriges Unterfangen, denn allein das Ausmaß der Zerstörung lässt schnell resignieren. Das Regie-Trio von „Die Epoche des Menschen“ wählt als Ansatz Bilder von größtmöglicher Überwältigung, meist Flugaufnahmen, wie sie in Fotografie und Dokumentarfilm in den letzten Jahren durch bessere Technik zum Standard geworden sind. Doch gerade Aufnahmen aus der Distanz ermöglichen eine Distanzierung von den Bildern der Zerstörung, ästhetisieren die industrielle Ausbeutung des Planeten, lassen den Menschen selbst oft verschwinden.

Konterkariert soll dieser Effekt durch kurze Interviews werden, in denen Arbeiter in den gezeigten Industrien über ihren Job berichten, vor allem aber eine Erzählspur, in der in der deutschen Fassung Hannes Jaenicke mit düsterer Stimme Daten aufzählt. Wie viele Millionen Tonnen Sedimente der Mensch etwa täglich bewegt erfährt man da, wie viel Prozent der Erdoberfläche der Mensch schon in seinem Sinne verändert hat, wie viel Wälder er zerstört, wie viel Prozent der Fischbestände schon vernichtet sind. Jede einzelne Information ist erschreckend, in der Masse wirken sie erschlagend und lassen am Ende ein gewisses Gefühl der Hoffnungslosigkeit zurück. Ist dieser Planet überhaupt noch zu retten? Ist die Vernichtung der Ressourcen nicht schon zu weit vorangeschritten? So oder so: Ästhetisch, eindrucksvoll und überwältigend sind die apokalyptischen Bilder, die Jennifer Baichwal, Nicholas De Pencier und Edward Burtynsky zusammengetragen haben in jedem Fall.

Michael Meyns