Die Insel der Zitronenblueten

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Eine Familiengeschichte, spannend wie ein Krimi und dabei sehr berührend – das ist der neue Film von Benito Zambrano („Havanna Blues“, 2005). Mit großer Sensibilität erzählt er von den beiden Schwestern Marina und Anna, die sich nach vielen Jahren wiedersehen und einem Familiengeheimnis nachspüren. Nach dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Cristina Campos, die mit Zambrano das Drehbuch schrieb, ist ein warmherziger, emotionaler Film entstanden, der zwar auf Mallorca spielt, aber nichts mit Bettenburgen, Remmidemmi und Touristenfallen zu tun hat. Hier geht es um das ursprüngliche Mallorca … und um starke Frauen.

Spanien, Luxemburg 2022
Regie: Benito Zambrano
Drehbuch: Cristina Campos, Benito Zambrano (nach dem gleichnamigen Roman von Cristina Campos)
Darsteller: Elia Galera, Eva Martín, Mariona Pagès, Tommy Schlesser, Marilu Marini, Claudia Faci
Kamera: Marc Gómez del Moral
Musik: Joan Valent

Länge: 122 Minuten
Verleih: Splendid
Kinostart: 29. Dezember 2022

FILMKRITIK:

Anna und Marina sind Schwestern, aber sie haben sich schon viele Jahre nicht gesehen. Während Marina inzwischen als Ärztin in Afrika arbeitet, ist Anna, die ältere von beiden, auf Mallorca geblieben, wo beide als Töchter einer wohlhabenden Familie aufwuchsen. Eine geheimnisvolle Erbschaft bringt Marina nach Mallorca zurück. Die beiden Schwestern haben eine Bäckerei geerbt, aber sie haben keine Ahnung, warum. Weder kennen sie Lola, die verstorbene Besitzerin, noch gibt es irgendwelche Hinweise darauf, warum Lola ausgerechnet sie beide als Erbinnen eingesetzt hat. Nichtsdestotrotz ist die Erbschaft willkommen, und die Bäckerei könnte sofort zu einem guten Preis verkauft werden. Deshalb reist Marina nach Mallorca. Anna kann das Geld gut gebrauchen – sie ist pleite, weil ihr Mann sich verspekuliert hat. Das Wiedersehen zwischen den Schwestern fällt frostig aus. Marina ist sehr distanziert, und Anna versucht alles, um für gute Stimmung zu sorgen. Nur langsam kommen sich die beiden wieder näher, auch dank Annas Tochter Anita, die mitten in der Pubertät steckt und ihre einzige Tante jetzt erst kennenlernt. Das Vertrauen untereinander wächst und damit auch die Bereitschaft, sich zu öffnen. Das gilt für Anna und ihre Geld- und Eheprobleme ebenso wie für Marina, die gern ein Baby adoptieren möchte, wovon aber ihr Beinahe-Verlobter Mathias nichts ahnt. Doch das ist erst der Beginn einer Geschichte, in der es um eine Backstube geht, um große und kleine Geheimnisse, um Intrigen und Streitigkeiten, aber auch um Liebe, Verständnis, neue Chancen und das beste Rezept für Zitronenkuchen mit Mohn.

In diesem Film wird viel gebacken, gelacht, gelächelt und manchmal auch geweint. Mütter, Schwestern, Töchter – es sind die Frauen, die diesen Film bestimmen. Cristina Campos, die Autorin des Romans, hat auch das Drehbuch mitgeschrieben und die starken Frauenfiguren ihrer literarischen Vorlage zum filmischen Leben erweckt. Der vielfach preisgekrönte spanische Filmregisseur Benito Zambrano, dessen Film „Havanna Blues“ vielen noch in Erinnerung sein wird, hat die gelegentlich sehr gefühlige Romanvorlage zu einem Film geformt, der sich erfolgreich vom allzu trivialen Kitsch fernhält. Also kein echter Taschentuch-Film, aber doch ein Drama mit sehr viel Gefühl, das zu Herzen geht und gelegentlich für feuchte Augen sorgt. Ungewöhnlich ist der Schauplatz: die frühlingshafte Insel Mallorca dient als Hintergrund für diese ungewöhnliche Familiengeschichte. Dabei ist keine einzige Touristenhochburg sichtbar, dafür ein anderes, weitgehend unbekanntes Mallorca. Genauer gesagt: Der Film spielt in Valldemossa, einem kleinen Ort im ruhigen, beschaulichen Nordwesten der Insel. So unterschiedlich die beiden Schwestern sind – die eine blond, die andere dunkel, die eine nachdenklich, die andere spontan – ist auch die Einstellung zu ihrer Heimat. Anna hat ihr ganzes Leben auf Mallorca verbracht, während Marina schon als 14-Jährige aufs spanische Festland kam, um ein Internat zu besuchen und später auf die Universität zu gehen. Inzwischen lebt sie als hoch angesehene Ärztin in Afrika in einer Beziehung mit dem deutlich jüngeren Mathias, wie sie ein NGO-Mitarbeiter. Doch immer noch beschäftigt sie der Gedanke, warum die Eltern sie weggeschickt haben. Das ist nur eines der vielen Geheimnisse, Probleme und Aufgaben, die im Film auf Lösung warten. Aber vielleicht ist es diese Erinnerung, die Marina zu einer skeptischen, distanzierten Frau gemacht hat, die sich jede Entscheidung -zigmal überlegt, die aber auch sehr hartnäckig sein kann, wenn sie ein Ziel verfolgt. Elia Galera spielt sie in einer sehr schönen Entwicklung mit herbem Charme, feiner Souveränität und einer eleganten Sprödigkeit, die sich immer mehr verliert, je länger die Insel Mallorca mit all ihren landschaftlichen Reizen und mit der Warmherzigkeit der Bewohner auf sie einwirkt. Bis Marina aus sich herausgeht, muss schon viel passieren. Anna wird gespielt von Eva Martín, die hier ebenfalls eine reife Leistung zeigt. Wo Marina verschlossen ist, ist Anna offen. Sie ist herzlich, wenn Marina noch überlegt. Das Wiedersehen mit ihrer Schwester nutzt Anna für eine Generalabrechnung mit ihrem bisherigen Leben – ihre Geduld ist erschöpft, nicht nur, was ihren Hallodri von Ehemann betrifft. Eva Martín macht aus Anna eine Frau, die über die Schwester ihr Selbstvertrauen und ihre Energie wiederfindet. In einer kleineren, aber interessanten Rolle spielt Claudia Faci mit viel Einsatz die energische Bäckerin Catalina, und Marilu Marini wird als Ursula zur mütterlichen Freundin, die immer da ist, wenn man sie braucht. Beide, sowohl Ursula als auch Catalina, könnten einiges wissen über das eine, das ganz große Geheimnis, das über der Familie der beiden Schwestern liegt. Doch auch die Wahrheit braucht einen richtigen Zeitpunkt …

 

Gaby Sikorski