Die jungen Kadyas

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Kann Musik Grenzen überwinden? Kann gemeinsames Singen zur Völkerverständigung beitragen? Versucht wird es zumindest immer wieder, doch dass die Realität komplizierter ist als jedes noch so ambitionierte Projekt, zeigt der Dokumentarfilm „Die jungen Kadyas“, in dem es um ein deutsch-israelisches Chorprojekt geht, dass 2017 in Weimar stattfand.

Deutschland 2019
Regie: Yvonne Andrä, Eyal Davidovitch, Wolfgang Andrä
Dokumentarfilm

Länge: 103 Minuten
Verleih: 1m60film/ Barnsteiner
Kinostart: 8. September 2022

FILMKRITIK:

Hehre Ziele hatten die Chorleiter des deutsch-israelischen Projekts zu Beginn: In Weimar ist der Chor Schola Cantorum Chor beheimatet, im israelischen Jaffa der Chor Voices of Peace, in dem nicht nur jüdische Mädchen singen, sondern auch arabische. Ein gemeinsames Projekt sollte die beiden Chöre nun zusammenbringen, doch nicht nur das. Auf jiddisch sollte der neugeschaffene Kadya-Chor bei einer Aufführung in Weimar singen, in einer Sprache also, die weder die Mitgliederinnen des einen noch des anderen Chores sprechen. Gemeinsam sollten vertonte Gedichte Kadya Molodowsky gesungen werden, einer polnisch-jüdischen Dichterin, die ein bewegtes Leben zwischen dem russischen Kaiserreich und den USA lebte und 1974 verstarb.

Zur Vorbereitung des Konzerts besuchten die Chöre einander mehrmals, sangen zusammen, lernten sich kennen, stellten Ähnlichkeiten und Unterschiede fest. Sprachprobleme erweisen sich dabei als kleinste Hürde, viel schwerer wiegen die kulturellen Gegensätze und natürlich das historisch komplizierte Verhältnis zwischen Deutschland und Israel.

Das Regietrio Yvonne Andrä, Eyal Davidovitch und Wolfgang Andrä hat die Chöre begleitet, bei den musikalischen Proben, vor allem aber auch beim zwischenmenschlichen Umgang zwischen den jungen Chormitgliedern und ihren jeweiligen Gastfamilien. Besonders hier deutet sich die komplizierte Gemengelage an, wenn etwa arabische Israelis davon berichten, dass sie in der Schule kaum über den Holocaust lernen oder die Chorleiter realisieren, dass das abstrakte Ziel des Projekts, sich in der Realität als deutlich zu ambitioniert erweist.

Während die deutschen Chormitglieder gewohnt sind, lange Stunden zu üben, sind ihre israelischen Kolleginnen überrascht davon, als gegen Ende der Probezeit von ihnen erwartet wird, jeden Tag zu proben und keine Zeit für Freizeit bleibt. Und für die arabischen Israelinnen erweist sich die Vorbereitung zur Reise ins Ausland als besonders heikel: Das Außenministerium erwartet eine Art Gesinnungstest von ihnen und möchte sie dazu zwingen, nur gutes über die innenpolitischen Verhältnisse des Landes zu berichten, vor allem zu behaupten, dass sie als Araberinnen in der israelischen Gesellschaft nicht diskriminiert werden.

Gerade die Andeutung dieser Schwierigkeiten beim Versuch, mittels gemeinsamem Gesang zur Völkerverständigung beizutragen, macht die Qualität des Films aus. Kein rosarotes Bild von hehren Projekten, die positive Effekte haben sollen wird gezeichnet, sondern ein differenzierter, auch selbstkritischer Blick geworfen. Am Ende von „Die jungen Kadyas“ steht dann die Erkenntnis, das Musik zwar verbinden kann, man Gemeinsamkeiten aber auch nicht erzwingen kann.

 

Michael Meyns