Die stillen Trabanten

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6 Schicksale in 3 Geschichten … das leise Großstadtdrama erzählt von sechs Menschen, die das Leben zufällig zusammenbringt. Sie alle sehnen sich nach Nähe und Menschlichkeit. Ihre Wege kreuzen sich in der Nacht, wenn die Stadt zur Ruhe kommt und die sanfte Dunkelheit sich über sie legt wie ein schützender Mantel.
Der neue gemeinsame Geniestreich von Thomas Stuber und Clemens Meyer nach IN DEN GÄNGEN (2018) beeindruckt zum einen durch große Namen im Cast – Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch, Charly Hübner sind dabei – aber auch durch die atmosphärische Dichte und die ungewöhnliche Erzählweise. Ein sehr schöner Film.

Webseite: https://www.warnerbros.de

Regie: Thomas Stuber
Drehbuch: Thomas Stuber, Clemens Meyer (nach seinen gleichnamigen Erzählungen)
Darsteller: Martina Gedeck, Nastassja Kinski, Albrecht Schuch, Lilith Stangenberg, Adel Bencherif, Andreas Döhler, Charly Hübner, Irina Starshenbaum, Peter Kurth
Kamera: Peter Matjasko
Musik: Kat Frankie

Länge: 101 Minuten
Verleih: Warner Brothers
Start: 01.12.2022

FILMKRITIK:

Da gibt es einen Security-Mann vor dem Zaun des Flüchtlingsheims, der sich in ein ukrainisches Mädchen hinter dem Zaun verliebt; oder eine Reinigungskraft, die in der Bahnhofskneipe eine Friseurin mit Spätschicht trifft; und schließlich einen Imbissbetreiber, der beim Rauchen auf dem Etagenbalkon die verheiratete Muslima von nebenan kennenlernt. Alle diese sechs Menschen haben eines gemeinsam: Es ist die Nacht, die sie umhüllt und beschützt, mutiger macht und zusammenführt. Entweder arbeiten sie nachts, so wie die Zugreinigerin Christa, der Wachmann Erik oder Jens vom Schnellimbiss, oder sie fühlen sich in der Dunkelheit weniger einsam, so wie das Flüchtlingsmädchen Marika, die Friseurin Birgitt mit ihrem Piccolöchen oder Aischa, die Nachbarin im Plattenbau. Sie alle hatten einmal große Träume, von denen nicht mehr viel übriggeblieben ist. Ihre Aussichten für die Zukunft sind eher bescheiden und ihre Möglichkeiten eher begrenzt, doch sie haben die Hoffnung auf ein kleines bisschen Liebe, auf Geborgenheit und einen Moment des Glücks noch nicht komplett aufgegeben. Wie Schiffe, die sich nachts begegnen, driften sie aufeinander zu. Drei Geschichten über drei mal zwei Menschen, die von der Einsamkeit in der Großstadt handeln und vom Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Abgesehen davon, dass es immer mal wieder erfrischend ist, ganz normale Menschen in einem deutschen Film zu sehen, die weder besonders begütert noch besonders gebildet sind, bietet dieser zärtlich lakonische Großstadtfilm über Sehnsüchte und die Suche nach Nähe noch eine ganze Reihe weiterer Sensationen: Da ist das Setting – alle drei Geschichten spielen nachts und laufen parallel, ohne eine Verbindung zwischen den drei Paaren, was den Eindruck von Anonymität und Isolation noch verstärkt. Da ist aber vor allem der Cast: die erste Garde der deutschen Film- und Theaterstars, allesamt große Charakterdarsteller. Es ist ein Hochgenuss zu erleben, wie sie spielen und was sie aus ihren Rollen machen. Alle sind brillant, aber Martina Gedeck als Zugreinigerin in Jobnöten und Nastassja Kinski als Friseurin sind vielleicht doch noch ein klitzekleines bisschen großartiger, aber natürlich auch Charly Hübner als verliebter Wachschützer oder Albrecht Schuch, Peter Kurth, Lilith Stangenberg ... insgesamt eine tolle Ensembleleistung. Thomas Stuber (IN DEN GÄNGEN) schrieb das Drehbuch wieder mit Clemens Meyer, der auch hier die literarische Vorlage lieferte. Sie zeigen diese sechs Schicksale als Persönlichkeiten, die alles andere als auffällig sind. Eher leise als laut, eher genügsam als anspruchsvoll, mit einem sehr zurückhaltenden Humor, der so realistisch und liebenswert ist wie das Leben, von dessen merkwürdige Entwicklungen und Kapriolen der Schriftsteller Clemens Meyer so meisterlich zu erzählen weiß. Peter Matjasko liefert dazu ebenso wie IN DEN GÄNGEN die atmosphärischen Bilder – ihr Film ist ein großartiges Beispiel dafür, wie aus scheinbar kleinen, unbedeutenden Geschichten die pure Alltagspoesie erwächst: berührende Porträts von Menschen, die im Schutz der Nacht vom Glück träumen – ein Hauch von Großstadtromantik.

 

Gaby Sikorski