Don’t Come Knocking

D 2005
Regie: Wim Wenders
Drehbuch: Sam Shepard
nach einer Geschichte von Sam Shepard und Wim Wenders
Kamera: Franz Lustig
Schnitt: Peter Przygodda, Oli Weiss
Darsteller: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Gabriel Mann, Sarah Polley, Fairuza Balk, Eva Marie Saint
122 Minuten
Verleih: Reverse Angle Pictures in Zusammenarbeit mit UIP
Start: August 2005
www.reverse-angel.com

20 Jahre nach „Paris, Texas” hat sich Wim Wenders wieder mit Sam Shepard zusammengetan, um eine bildgewaltige Expedition in den gar nicht so wilden Westen zu unternehmen. Zugleich eine Reise ins Ich eines abgehalfterten Cowboy-Stars, der plötzlich erkennt, dass sein Leben bislang wohl eher ohne ihn stattgefunden hat. Bisweilen existenzialistisch ernst, oft verblüffend komisch, vor allem aber mit unerwarteter Leichtigkeit gelingt Wenders ein vibrierendes Meisterwerk der emotionalen Art. Zeitlos, bewegend und ganz ohne verquastes Geschwätz – nach langer Durststrecke der große Wurf.

„Nicht tot. Nicht tot. Warum bin ich nicht tot?“ röchelt gleich zu Anfang Sam Shepard alias Howard Spence, jener abgehalfterte Hollywood-Haudegen, dessen Wege zum Ruhm längst zur holprigen Sackgasse geworden sind. In den guten alten Western-Zeiten war er ein leitender Angestellter der Traumfabrik. Heute ist er der leidende Leih-Cowboy, der in drittklassigen Filmen seine Sporen hinhalten muss. Zum Schrecken des viertklassigen Regisseurs hat Howard Hals über Kopf die Dreharbeiten verlassen. Nur die schalen Überreste seiner letzten Routine-Orgie, viele leere Flaschen, ein paar junge Frauen, blieben einsam im Trailer zurück. Den Helden hält nichts mehr, auf seiner Flucht tauscht der Kino-Cowboy das Pferd und sein letztes Hemd gegen ein paar schäbige Klamotten ein. „Hans im Glück“-Kenner ahnen wohl, welche Folgen spontane Tauschaktionen langfristig haben können. Während sich der wortkarge Versicherungsdetektiv Sutter (Tim Roth) als moderner Kopfgeldjäger auf die Fersen des abtrünnigen Darstellers macht, sucht der sein Glück bei Muttern (Eva Marie Saint). Die hat er seit 30 Jahren nicht mehr gesehen. Aber die Zeiten ändern sich eben. Erst recht, als Howard erfährt, dass er vermutlich ein Kind hat, von dem er nichts ahnte. Plötzlich erwacht neues Leben in dem Lebensmüden. Er fährt in jenes Kaff, in dem er einst einen berühmten Western drehte. Tatsächlich kellnert dort noch immer die hübsche Doreen (Jessica Lange). Doch weder sie, noch ihr erwachsener Sohn Earl (Gabriel Mann) sind von Howard spätem Besuch besonders begeistert. Freundlicher reagiert die junge Sky (Sarah Polley). Fast genauso alt wie Earl, dafür weniger exzentrisch, einmal abgesehen davon, dass sie ständig die blaue Urne mit der Asche ihre verstorbenen Mutter herumträgt. „Ich glaube, das ist meine Tochter. Wie ist dein Name?“ wird Howard sie später seinem Verfolger vorstellen. Bis es soweit ist, muss er sich von Doreen allerdings noch gehörig seine Macho-Hörner schleifen lassen und von seinem Sohn einige unbequeme Wahrheiten anhören. Zum faszinierenden Showdown kommt es, als die souveräne Frau dem geflohenen Vater ihres Kindes vor dem Fitness-Center eine grandiose, oscarreife Szene macht – derweil sich hinter dem Schaufenster die jüngeren Damen noch eifrig abstrampeln. Und weil dieser Wenders zugleich ein bisschen Western ist, fehlt selbst der traditionelle Indianerüberfall nicht. „Where is Howard? Who is Howard?” werden die beiden Kids am Ende fröhlich singen. Immerhin weiß der Held inzwischen, warum er nicht tot ist. Steht längst wieder vor der Kamera. Und dreht ein schwelgendes Happy-End.

An dieser Mischung aus Roadmovie-Melodram und Western-Farce stimmt so ziemlich alles, was man sich vom Kino wünschen kann. Scharfzüngige Dialoge à la Sam Shepard. Exquisite Schauspieler, wiederum Shepard samt seiner Lebensgefährtin Jessica Lange. Sowie als Sahnehäubchen die „Faust im Nacken“-Hollywood-Legende Eva Marie Saint als rührend resolute Mutter. Musik und Bilder, wen wundert’s bei Wenders, sind cool und ergreifend zugleich. T Bone Burnett, der Komponist der Coen-Brüder, sorgte für den stimmungsstarken Soundtrack. Für seine hypnotisierende Bildermaschine hat Wenders in Franz Lustig, mit dem er zuvor schon „Land of Plenty“ drehte, den passenden Partner gefunden. So schwer die Themen Familie, Aussöhnung, Schuld und Sühne klingen, so verblüffend leicht werden sie behandelt. Selbst dass der Hänfling von Sohn in seiner Wut ein schweres Sofa alleine aus dem Fenster werfen kann, kann Wenders kaum erschüttern: „Er macht es eben einfach“ gibt er argwöhnischen Kritikern vergnügt zur Antwort. Die Angst des Cowboys vor dem Showdown ist für Howard beim Abspann zu Ende. Für das Publikum dürfte dieser Film wohl noch eine gute Weile weiterklingen.

Dieter Oßwald