Eldorado – Markus Imhoof

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Noch ein Film über Flüchtlinge, über die verzweifelten Versuche, auf Booten das Mittelmeer zu überqueren, um nach Europa zu kommen. Das mag man im ersten Moment über Markus Imhoofs Dokumentation „Eldorado“ denken, doch dem Schweizer Regisseur gelingt es mit erzählerischer Zurückhaltung einen empathischen, aufwühlenden Film zu drehen.

Webseite: www.eldoradoderfilm.de

Dokumentation
Schweiz/ Deutschland 2017
Regie: Markus Imhoof
Länge: 92 Minuten
Verleih: Majestic
Kinostart: 26. April 2018

FILMKRITIK:

Unter den Titeln von Markus Imhoofs Dokumentation glitzert es golden, so golden wie das Fabelreich “Eldorado“, nach dem der Schweizer Regisseur seinen neuen, gleichermaßen persönlichen, wie universellen Film genannt hat. Doch weder das Gold, das die Konquistadoren nach Südamerika führte, ist zu sehen, noch das vermeintliche Gold, dass Flüchtlinge in Europa zu finden hoffen: Was hier golden glänzt sind Wärmedecken mit denen den ausgezehrten Menschen, die von Rettungsmannschaften aus dem Mittelmeer gefischt werden, erste Hilfe geboten sind.
 
Mit diesem metaphorischen Bild beginnt Markus Imhoofs Film, das allein schon Fragen aufwirft, die abendfüllend wären. In den folgenden 90 Minuten begibt sich Imhoof auf zwei Reisen, die er teils auf der Bild-, teils auf der Tonebene erzählt, lose und doch bestimmt nebeneinanderstellt, ohne dem Zuschauer eine Botschaft oder gar eine Moral aufzudrängen. Die eine Reise ist eine persönliche, eine Erinnerung an Giovanna, ein Mädchen aus Italien, das Imhoofs Familie nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufnahm. Für ein paar Jahre lebte dieses fremde Mädchen, das fremde Wesen, bei der Familie und offenbarte Imhoof einen Blick nach außen, in eine andere Welt. Bald ging Giovanna zwar wieder zurück nach Italien, zu ihrer richtigen Familie, doch die Erinnerung an sie prägte Imhoof augenscheinlich sehr, auch wenn er sie nie wiedersah: Giovanna starb jung, vermutlich auch an den Folgen von Flucht und Hunger.
 
Die zweite Reise von „Eldorado“ beginnt auf dem Mittelmeer, wo Imhoof die italienischen Rettungsaktion Mare Nostrum begleitet, die zehntausende Bootsflüchtlinge rettete und nach Italien brachte. Doch während etwa Gianfranco Rosis ähnlich angelegter „Seefeuer“ bei den Helfern blieb und dadurch eher einen Blick von außen nach innen wirft, begleitet Imhoof den Flüchtlingsstrom weiter.
 
Zunächst in ein Auffanglager, in dem tausende Flüchtlinge unter grenzwertigen Bedingungen leben, ausharren, in der Hoffnung, dass ihrem Asylantrag stattgegeben wird. Während dieser monatelangen Wartezeit dürfen sie nicht arbeiten, verlassen das Lager kaum, dementsprechend schlecht ist die Stimmung. Doch in dieser Phase besteht immerhin noch die Hoffnung, die sich für viele, besonders den Teil der Flüchtlinge, der nicht vor Kriegen geflohen ist, sondern „nur“ aus wirtschaftlichen Gründen, bald zerschlägt.
 
Und hier setzt nun die besondere Perversion der Thematik ein: Offiziell will Europa diese Wirtschaftsflüchtlinge nicht aufnehmen, will sie, wenn möglich in ihre Heimatländer abschieben, doch inoffiziell leben Teile der europäischen Wirtschaft, besonders der Landwirtschaft, von diesen nun illegalen Flüchtlingen. In Slums, in denen Imhoof mit versteckter Kamera gedreht hat und die mit ihren baufälligen Hütten und fehlenden Sanitäranlagen kaum von denen am Rand afrikanischer Städte zu unterschieden sind, leben die Menschen, pflücken Tomaten oder verdingen sich als Prostituierte. Wer davon profitiert ist die Mafia, aber auch der europäische Bürger, der günstige Tomaten und anderes Gemüse in seinem Supermarkt kauft.
 
Es ist gar nicht nötig, dass Imhoof angesichts dieser Bilder didaktisch wird, allzu offensichtlich sind die Zusammenhänge zwischen dem Elend der Flüchtlinge und den Strukturen des Kapitalismus, von dem auch diejenigen profitieren, die meinen, die Flüchtlingsproblematik gehe sie nichts an. Gut fühlt man sich nach den 90 Minuten von Markus Imhoofs „Eldorado“ zwar nicht, aber angesichts dessen, was Tag für Tag am Rand und vor allem im Herzen Europas passiert, sollte man das auch nicht.
 
Michael Meyns