France

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Zuvorderst verweist der Titel von Bruno Dumonts überzeichnetem Drama auf den Namen seiner Hauptfigur, der von Léa Seydoux gespielten Starjournalistin und narzisstischen Selbstdarstellerin France de Meurs. Deren wohlgeordnete Welt gerät durch verschiedene Ereignisse außer Kontrolle. In sicherlich gewollter Doppeldeutigkeit spielt der Titel aber auch auf den Zustand der Grande Nation als gesellschaftlicher wie politischer Einheit an, denn auch hier befindet sich das Land immer wieder im Krisenmodus – mit France de Meurs in vorderster Front der Berichterstattung. Bruno Dumont („L’Humanité“, „Die feine Gesellschaft“) inszeniert seine Geschichte als überhöhte Mediensatire, tragisches Familien- und Karrieredrama und bisweilen komödiantisches Porträt sowohl einer Frau, die sich neu erfinden muss, wie auch einer Medienwelt, die Ergriffenheitsjournalismus als Quotenbringer instrumentalisiert hat.

Website: https://www.mfa-film.de/kino/id/france/

Frankreich 2021
Regie: Bruno Dumont
Mit: Léa Seydoux, Blanche Garin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Gaëtan Amiel, Juliane Köhler, Jawad Zemar
Länge: 133 Minuten
Verleih: MFA
Kinostart: 9.6.2022

FILMKRITIK:

Keinen geringeren als den französischen Staatspräsidenten will sie auf einer Pressekonferenz im Elysée-Palast bloßstellen. Als kampfeslustig wird die bekannte Fernsehjournalistin France de Meurs (Léa Seydoux) zusammen mit ihrer Produzentin Lou (Blanche Gardin) eingeführt, eine geschickte Montage suggeriert, die Pressekonferenz mit Emmanuel Macron habe tatsächlich so stattgefunden. Klar sind bei einem solchen Termin die Augen der Medienwelt auf den Politiker gerichtet (Armin Laschet wird sich an sein Hochwasser-Lachen erinnern). Verwunderlich trotzdem, dass die frivolen Gesten und siegessicheren Blicke, die de Meurs, nachdem sie den Präsidenten mit einer Frage öffentlichkeitswirksam provoziert hat, mit ihrer Kollegin tauscht, in diesem Rahmen überhaupt denkbar sind.

Kurz darauf berichtet France de Meurs live aus einem Krisengebiet in der Sahel-Zone vom Kampf gegen den IS. Man sieht, wie das Interview aufgezeichnet wird, und man sieht später, was die Regie daraus gemacht haben wird. De Meurs weiß dabei stets genau, was sie will, vor allem, wie sie sich selbst am besten in Szene setzen kann – nicht zuletzt mit rot geschminkten Lippen und Stahlhelm auf dem Kopf. Für die Menschen und ihr Leid interessiert sie sich nicht. Ihr Blick ist stets berechnend und kühl, ihr Auftreten das einer Narzisstin.

Zurück in Paris gerät nun sie selbst in die Schlagzeilen, als sie einen unterbezahlten Lieferanten auf seinem Motorroller anfährt, und ihre Schuldgefühle gegenüber seinen migrantischen und arbeitslosen Eltern mit finanzieller Entschädigung abzugleichen gedenkt. Zudem kriselt es daheim in der Familie. Sie fährt auf Kur in die Schweiz, lernt einen Lateinlehrer kennen – der sich zu ihrem Entsetzen als ein doch ganz anderer entpuppt und ihre romantisch beginnende Schicksalsgeschichte in der Boulevardpresse sensationsheischend publik macht. France de Meurs ist da alles andere als amüsiert. Und doch ist für sie das Ende der Leidenszeit noch nicht erreicht.

Ein Mitleiden mit dieser France de Meurs bleibt dennoch aus, auch wenn Léa Seydoux – zuletzt im Bond-Abenteuer „Keine Zeit zu sterben“, in Wes Andersons „The French Dispatch“ und Ildiko Enyedis Romanverfilmung „Die Geschichte meiner Frau“ in internationalen Produktionen im Einsatz – die Überzeugtheit, Verzweiflung und Leere ihrer zwischen Quoten-Heiliger, Rabenmutter und Reporter-Dämon wechselnden Figur routiniert, aber eben gefühlskalt, spielt. Dass man selbst emotional nicht gefangen genommen wird, hat sicher auch damit zu tun, dass der ganze Film von Beginn an etwas kalkuliert Berechnendes hat. Hinzu kommt die in jeder Sekunde spürbare Künstlichkeit der Geschichte durch überzeichnete Farben, überstilisierte Räume (insbesondere de Meurs Wohnung) und Landschaften, egozentrisch geführte Talkshows („die Journaille ist auf Quote aus, die Politiker auf Wählerstimmen“) und Phasen experimenteller Gesangseinlagen auf der Soundspur mit einer Art surreal-delirierendem Klagegewinsel.

Trotz dieser Distanz spürt man aber die Anstrengung und die Verzweiflung nicht nur der Hauptperson, sondern metaphorisch auch, wie die Nation namens France (schon in der ersten Einstellung weht die Trikolore im Wind) sich in einem Ohnmachts-Ist-Zustand befindet. Politisch rechts oder links zu sein, wie während eines Sponsorendiners, von dem de Meurs eines Abends flüchtet, spielt in dieser von Bruno Dumont gezeichneten Reflektion keine Rolle, dafür umso mehr die Suche nach der eigenen Identität. Gerne darf man sich auch fragen, was Dumont damit sagen wollte, als er auch Angela Merkel (bzw. eines ihrer Doubles) zur Erholung ins als Drehort dienende Schloss Elmau im Karwendelgebirge schickte. Seinem oft zynischen Film beschert der Ausflug in die winterlich verschneite Bergwelt zudem eine komödiantische Szene mit Juliane Köhler, der partout der Name der Kanzlerin nicht einfallen will. Es ist die nicht immer in ihrem Tonfall sofort einzuschätzende Dialektik dieses Films und das Spiel mit inszenierter Wirklichkeit und absurder Realität, vor allem die kritische, sicher ernstgemeinte, hier aber nicht unbedingt ernst zu nehmende Beschäftigung des Rummels um einen Medienstar, die ihn sehenswert machen.

Thomas Volkmann