Glück/Bliss

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Zum zweiten Mal war Henrika Kull in diesem Jahr im Panorama der Berlinale zu Gast, diesmal mit einem Film über Prostitution, vor allem aber die Liebe. In einem Bordell beginnt „Glück/Bliss“, gemeinhin nicht unbedingt als Ort für Romanzen bekannt, doch genau hier lernen sich zwei Frauen kennen und lieben, ohne jedoch ihre Arbeit ganz verdrängen zu können.

Website: www.salzgeber.de/glueckbliss

Deutschland 2021
Regie & Buch: Henrika Kull
Darsteller: Katharina Behrens, Adam Hoya, Nele Kayenberg, Jean-Luc Bubert, Petra Kauner
Länge: 90 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 22. Juli 2021

FILMKRITIK:

Sascha (Katharina Behrens) arbeitet schon lange in einem Berliner Bordell, geht entspannt mit Kolleginnen und der Dame des Hauses um, man kennt und schätzt sich, geht der Arbeit nach, als wäre es eine ganz gewöhnliche. Aber genau das ist sie hier, in diesem Film, im Blick der Regisseurin Henrika Kull, die selbst lange Zeit in Bordellen recherchiert hat, hinter dem Tresen arbeitete und so einen intimen Blick in eine Welt bekam, die oft viel zu sehr von Klischees verdeckt ist.

Auch als die jüngere Italienerin Maria (Adam Hoya) im Bordell zu arbeiten beginnt, haftet den Bildern etwas dokumentarisches an, wirkt das langsame kennenlernen von Sascha und Maria ganz natürlich, als würde man hinter die Kulissen blicken. Unweigerlich denkt man hier an einen anderen Film über Prostitution über den in jüngster Vergangenheit viel geredet wurde, die angebliche Dokumentation „Lovemobil“, die sich als weitestgehend inszenierter Blick in die Rotlichtwelt erwies.

In gewisser Weise tut „Glück/Bliss“ das, woran „Lovemobil“ scheiterte: Mit filmischen Mitteln, mit Schauspielern und einer dokumentarisch beobachtenden Kamera das Leben von Prostituierten schildern, allerdings frei von Klischees und forciertem Drama. Erst als sich die Geschichte zunehmend aus dem Bordell entfernt, aus der oberflächlichen Bekanntschaft zwischen Sascha und Maria langsam mehr und fast so etwas wie eine Beziehung wird, erliegt auch Henrika Kull der Notwendigkeit dramaturgischer Zuspitzung.

Während Marias Hintergründe lange weitestgehend offen bleiben, erfahren wir bald, dass Sascha aus der brandenburgischen Provinz stammt, wohin sie ihre Freundin bald mitnimmt. Das jährliche Dorffest steht an, offenbar der eine Tag, an dem Sascha in die Heimat zurückkehrt, vor allem um ihren Sohn Max zu sehen, der beim Vater Mike (Jean-Luc Bubert) lebt. Weder das sie als Prostituierte arbeitet, noch das sie mit einer Frau zusammen ist, verheimlicht Sascha den Menschen auf dem Dorf, einer typisch provinziell anmutenden Menschengruppe, die allzu schematisch und funktional wirkt.

Während im Kokon der Halbwelt, in den Mauern des Bordells und ihrer Wohnungen in Berlin die Beziehung zwischen Sascha und Maria funktionieren konnte, stößt sie in der Provinz schnell an Grenzen. Von einem Menschen akzeptiert zu werden, der den gleichen Beruf ausübt ist eine Sache, diese Beziehung und vor allem diese Berufswahl vor konservativen Augen zu leben etwas ganz anderes.

Die größte Stärke von Henrike Kulls Film bleibt die Beiläufigkeit, mit der sie eine Welt schildert, die viel zu oft von extremen Darstellungen geprägt ist. Nicht von Zwangsprostitution und Missbrauch ist hier die Rede, sondern von einem normalen Beruf, der aus pragmatischen Gründen gewählt wurde. Manche werden dies fraglos als verklärten Blick bezeichnen, der bekannte Missstände ignoriert. Doch „Glück/Bliss“ geht es nicht um die Wahrheit, sondern um eine Wahrheit, um einen offenen, vorurteilsfreien Blick auf eine Welt und die Frauen, die in ihr arbeiten.

Michael Meyns