Grenzland

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Kurz nach der deutschen Einheit und dem Fall des Eisernen Vorhangs drehte Andreas Voigt 1992 seinen Film „Grenzland – Eine Reise“, der im Umland von Oder und Neiße entstand, in der Grenzregion zwischen Polen und Deutschland. 30 Jahre später besucht Voigt die Region erneut, zeichnet Veränderung nach, lässt Menschen zu Wort kommen, die auf die ein oder andere Weise Migrationserfahrungen gemacht haben.

Website: www.missingfilms.de

Deutschland 2020
Regie & Buch: Andreas Voigt
Länge: 100 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 8. Juli 2021

FILMKRITIK:

„Bloodlands“ nannte der britische Historiker Timothy Snyder in einem vielbeachteten Buch jene geschichtsträchtige Region zwischen Deutschland und Russland, zwischen Hitler und Stalin, an deren Rand auch Polen liegt. Die Grenzen zwischen Deutschland und Polen sind inzwischen fix, auch der Prozess der europäischen Einigung hat das Verhältnis der Nachbarn zumindest verbessert, auch wenn immer wieder tiefe Ressentiments zwischen den Nationen hochkochen und die Wunden der Geschichte auch in der Gegenwart noch zu spüren sind.

Die Oder und die Neiße markieren inzwischen die Grenze zwischen Deutschland und Polen, in dieser Region hat Andreas Voigt Anfang der 90er Jahre seinen ersten Dokumentarfilm gedreht: „Grenzland – Eine Reise.“ Damals war Polen noch nicht Teil der Europäischen Union, war die Grenze noch eine richtige Grenze, die zu überqueren nicht immer einfach war. Inzwischen hat sich das geändert, zumindest für manche. Einzelne Grenzpfosten stehen zwar noch verloren in der Landschaft, doch für polnische Staatsbürger ist es inzwischen problemlos möglich, die Grenze zu überqueren und in Deutschland zu leben und zu arbeiten.

Doch auch andere Nationalitäten zieht es in die Region, mehr oder weniger gezielt. Eine Familie aus Australien hat etwa in Südpolen ein neues zu Hause gefunden und genießt die milden Sommer – die harschen Winter dagegen weniger. Ähnlich dürfte es dem jungen Syrer Sallman gehen, der auf der anderen Seite, in Sachen lebt, inzwischen ein Haus besitzt und versucht, sich trotz immer wieder vorkommender rassistischer Übergriffe versucht, in der Region ein neues Leben aufzubauen.

An der Oder geboren wurde dagegen die Polin Zofia, deren Herkunft aber auch eine der unzähligen Migrationsgeschichten erzählt, die Mitteleuropa prägen: Ihre Großeltern wurden einst von deutschen Truppen aus Vilnius vertrieben, heute die Hauptstadt Litauens, damals noch Teil von Polen. Ihr ganzes Leben hat sie an der Oder verbracht, die früher eine Grenze war, heute vor allem ein Fluss ist. Im Gegensatz zu Zofia will die junge Aniela die Region lieber heute als morgen verlassen. In ihrer polnischen Heimat sieht sie keine Zukunft mehr, fühlt sich in der zunehmend repressiven Gesellschaft nicht mehr wohl.

Vignetten vom Weggehen, übers Ankommen und Bleiben erzählt Andreas Voigt, hat dafür zwischen dem Stettiner Haff im Norden bis zu Niederschlesien im Süden gedreht. Manche Personen trifft er nach 30 Jahren erneut, stellt Aufnahmen aus dem älteren Film neben neue Bilder, die nicht nur zeigen, wie sehr sich die Menschen verändert hat, sondern auch die Region. Nicht immer zum besten, nationalistische Tendenzen gibt es auf beiden Seiten, auch dies ein Aspekt, den Andreas Voigt in seinem zurückhaltendem, sehenswerten Film andeutet.

Michael Meyns