große Depression, Die

Deutschland 2005
Regie: Konstantin Faigle
Dokumentationsfilm
88 Minuten
Verleih: Timebandits Films (Start am 1.9.05), www.timebandits-films.de

„Eine Depression, an der Millionen in Deutschland leiden, ist nicht ehrenrühriger als eine Blinddarmentzündung.“ Der Tübinger Rhetoriker Walter Jens spricht diesen Satz in Konstantin Faigles satirischer Dokumentation, die nach Ursachen des angeschlagenen Gemütszustandes der Deutschen sucht. Auch Pater Anselm Grün, Alice Schwarzer, namhafte Psychiater und Psychologen, ja sogar König Ludwig II. kommen in dieser auf süffisante Weise provozierenden Komödie zu Wort – und machen deutlich, dass sich die große Depression mehrheitlich in den Köpfen der Menschen abspielt.

Dass die Zeit für einen Ruck, eine politische wie gesellschaftliche Wende in Deutschland reif ist, davon ist derzeit täglich die Rede. Doch wie und wo lässt sich dieser Wandel einleiten? Wer übernimmt die Verantwortung, wer wagt den ersten Schritt? Der in Köln lebende Schwabe Konstantin Faigle, der für seinen Provinzfilm „Out of Edeka“ 2001 den Bayerischen Dokumentarfilmpreis erhielt, macht sich einem Michael Moore gleich auf Spurensuche durch die Bundesrepublik, will spüren und erfahren, wo, vor allem warum der Schuh der Depression so gewaltig drückt. Woher rührt die notorische Unzufriedenheit der Deutschen? Sich mit dem Seelenzustand der Menschen befassende Experten sehen die kollektiv gedrückte Stimmung im Land als Folge eines Schneeballeffektes: wo viel gejammert wird, stimmen immer mehr Mitjammerer in den Blues ein. Jammern gehört zum guten Ton. Natürlich ist alles nur eine Frage der Sichtweise: ist das Glas nun halb voll oder halb leer?

So ernst die Problematik, so locker Faigles teils sehr persönliche Herangehensweise. Wie schon in „Out of Edeka“ kommen auch hier seine Eltern aus Empfingen wieder zu Wort – und diesmal auch besser weg. Immer wieder rückt Faigle sich selbst mit der bevorstehenden Geburt seines Kindes ins Zentrum der Betroffenheit. Denn wenn einer zu leiden haben wird, dann doch wohl jene, die noch geboren werden, schließlich kommt ein Kind in Deutschland statistisch gesehen schon mit 16.500 Euro Schulden zur Welt. Vorschläge, dass man sich doch mit glücklichen, immer lachenden Indern zur Vererbung des Happiness-Gens vermischen sollte, können in Anbetracht der herrschenden Einwanderungspolitik nicht ernst gemeint sein. Und für wie seriös sind die Meinungen der zu Wort kommenden Interviewpartner überhaupt zu halten? Walter Jens, Alice Schwarzer, den Benediktinermönch Anselm Grün, sie alle kann man kennen, bzw. schon mal von ihnen gehört haben.

Doch dann tritt da ein Automechaniker von der Schwäbischen Alb als neidweckender Porsche-Sammler auf, der Abspann unterschlägt seinen Namen, erkannt wird er jedoch als Peter Höfermayer, Schauspieler des bekannten Melchinger Lindenhoftheaters. Warum dieses Versteckspiel? Nachdem dann noch eine gewisse Vera F. Birkenbihl wie ein Wasserfall über Meme und ihre Schlüsselfunktion zum Knacken des kollektiven Denkens redet, erhält die Glaubwürdigkeit der Dokumentation Risse. Ist das jetzt ernst gemeint? Wie auch immer, die Frau Birkenbihl aus Odelzhausen gibt’s tatsächlich, seit Ende der 60er Jahre entwickelt sie Lerntechniken auf der Basis der Hirnforschung, trat mit ihren Methoden und Themen wie der Komplexitätstheorie auch schon im Bayerischen Fernsehen auf.

Dass man in Faigles Deutschlandreise König Ludwig II. begegnet, ist zumindest ein deutlich erkennbarer inszenatorischer Zug. Kameramann Hajo Schomerus ließ sich entsprechend einkleiden und frisieren, wurde auf Schloss Neuschwanstein selbst zum touristischen Fotomotiv und konfrontierte die Besucher mit der Frage, ob Deutschland als Monarchie nicht vielleicht besser funktionieren würde, man unter einem König vielleicht glücklicher wäre. Auch die nachgespielten, teils liebevoll im Animations- und Puppentrick erstellten Szenen zur deutschen Geschichte, lockern die flott von Stichwort zu Stichwort eilende Doku auf. Hier lehnt sich Faigle ganz deutlich an Michael Moores „Bowling for Columbine“ an, will gegen Ende auch die BILD-Chefredakteur Kai Dieckmann in dessen heiligen Hallen persönlich sprechen – doch ohne Voranmeldung hat er dazu keine Gelegenheit.

Festzustellen bleibt nach 90 durchaus unterhaltsamen Minuten: würden wir nicht jammern, hätten wir dann überhaupt etwas, um über uns zu lachen? Dass sich Konstantin Faigle nicht als deutscher Michael Moore eignet, zeigt er im Zusammenhang mit den Montagsdemos gegen Hartz IV in Leipzig, wo er, als es verbal zur Sache geht, lieber still und stumm bleibt. Denn sinnvolle Vorschläge, wie aus diesem Jammertal herauszukommen ist, die bietet auch „Die große Depression“ nicht an. Ähnlich wie die Nonsense-Komödie „Weltverbesserungsmaßnahmen“ vermag die Dokumentation allenfalls, für einen kurzen Augenblick vom eigentlichen Problem abzulenken. Wer allerdings auf Pater Anselm Grün hört, der kann durchaus auch etwas mitnehmen. Er macht deutlich, dass das Leben aus Entscheidungen besteht, und dass man gewisse Dinge einfach auch mal aushalten muss, auch wenn man das gewünschte andere nicht hat. Kurz gesagt: es geht um Akzeptanz und innere Zufriedenheit.

Thomas Volkmann