Horizont

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Ein Film, der Klimaschützern Laune macht: Die französische Regisseurin Émilie Carpentier lässt sich in ihrem Debüt von der Protestbewegung gegen ein gigantisches, vor Umweltsünden nur so strotzendes Mammutprojekt inspirieren. Ihre jugendliche Heldin wandelt sich angesichts der drohenden Zerstörung wertvoller Lebensräume von der unpolitischen Vorstadtgöre zur ökologisch engagierten Kämpferin. Die Lust am Abenteuer muss sie dabei nicht hinter sich lassen. Ganz im Gegenteil. Auch jenseits des Konsumismus findet sie einen Ort, an dem sie ihre Vitalität austoben kann.

Webseite: www.arsenalfilm.de/horizon

L’Horizon
Frankreich 2021
Regie: Émilie Carpentier
Drehbuch: Émilie Carpentier, Cécile Vargaftig, Assmar Abdillah, Dany Bomou
Darsteller: Tracy Gotoas , Sylvain Le Gall , Niia Hall

Laufzeit: 85 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 6. Oktober 2022

FILMKRITIK:

Irgendwann einmal geht Adja (Tracy Gotoas) auf dem Kopf. Das hat damit zu tun, dass die Kamera sie durch die Spiegelung eines Flusses aufnimmt. Aber es hat sich eben auch vieles um 180 Grad gedreht im Leben der 18-jährigen. Vor wenigen Wochen noch machte sie mit ihrer besten Freundin, der Influencerin Sabira (Niia Hall), die Einkaufszentren und Straßen der Pariser Vorstadt unsicher, bunt kostümiert und grell geschminkt, voller Lust auf Party und ein wildes Leben. Nun aber hat sie sich in Arthur (Sylvain Le Gall) verliebt, einen Öko-Aktivisten, der Konsumterror und verschwenderisches Spaßhaben verachtet. Der jungen Frau mit senegalesischen Wurzeln, die ein Gymnasium mit sozialem Schwerpunkt besucht und gerade ein Praktikum im Altenheim absolviert, schwirrt der Kopf. Wo gehört sie eigentlich hin?

Regisseurin Émilie Carpentier spielt in ihrem aktivistisch angehauchten Debüt auf einen realen Kampf der französischen Ökologie- und Klimabewegung an. „EuropaCity“ nannte sich ein gigantisches Touristen- und Freizeitpark-Projekt im Norden von Paris, das pro Jahr doppelt so viele Besucher anziehen sollte wie das französische Disneyland. Dagegen regte sich massiver Widerstand, weil riesige Flächen wertvollen Ackerlandes überbaut und die Bauern enteignet werden sollten. „Dream City“ heißt das Vorhaben im Film, der 2019 gedreht wurde und den Kampf eines Ökobauern und seiner Unterstützer zeigt, die das künftige Baugelände besetzen. In der fiktiven Verarbeitung sieht es für die kriminalisierten Klimaschützer nicht gerade gut aus, in der Realität jedoch führten die Aktionen zum aus von EuropaCity.

Das klingt nach schwerer Kost, doch die Inhaltsangabe täuscht. „Horizont“ ist ein schwungvolles Jugendporträt voller Energie, irgendwo zwischen Coming-of-Age, romantischer Komödie und Politdrama. Das hat mit der Vitalität der noch weitgehend unbekannten Darsteller zu tun, und damit, dass die Regisseurin die Schauspieler in die Arbeit an den Dialogen einbezog und im Abspann den Schülerinnen und Schülern einer Pariser Banlieu dankt, die sie kennenlernen durfte und die ihr ihre Geschichten erzählt haben. Adja, die Protagonistin, macht eine klassische Politisierung durch, mit allen Stationen des Zweifels, aber auch mit einer rapiden Radikalisierung, die mit den Repressionen von Staat, Polizei und Justiz zu tun hat.

Stellenweise wirkt die Handlung ein wenig überladen. Dann wird manches nur angerissen: Internet-Mobbing, Feminismus oder der Anstieg des Meeresspiegels, der im Senegal bereits Küstenstädte beschädigt. Aber unterm Strich zeichnet „Horizont“ ein vitales Porträt der französischen Klima-, Ökologie- und Protestbewegung, die hierzulande kaum bekannt ist. 2019, das hat man fast vergessen, war weltweit das Jahr von „Fridays for Future“. Der Film rettet einiges von der damals freigesetzen Euphorie in unsere mehrfach krisengeplagte Gegenwart.

 

Peter Gutting