Il Mio Corpo

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Regisseur Michele Pennetta bezeichnet seinen Film als eine Dokumentation. Aber er funktioniert nach den Mechanismen eines Spielfilms, ist eher ein Hybrid aus zwei Erzählformen. Denn er setzt Laien ein, die sich im Grunde selbst spielen, verzichtet abgesehen von einem Stück auf Musik und schafft dennoch eine narrative Form, die zwei disparate Geschichten zusammenführt. Es geht um zwei sehr unterschiedliche Teenager in Sizilien, die nichts im Leben haben.

Webseite: https://salzgeber.de/corpo

Il Mio Corpo
Italien 2020
Regie: Michele Pennetta
Buch: Michele Pennetta, Arthur Brugger, Pietro Passarini

Länge: 79 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 18. August 2022

FILMKRITIK:

Teenager Oscar sammelt zusammen mit seinem herrischen Vater und seinem Bruder Altmetall auf der Müllhalde. Nur wenige Kilometer entfernt lebt der aus Nigeria geflüchtete Stanley, der die Kirche putzt und unter dem Schutz des Priesters steht. Zwei Teenager, deren Herkunft unterschiedlicher nicht sein kann, und doch zwei junge Männer, die ein Gefühl eint: Dass sie in eine Welt geworfen wurden, die sie gar nicht will.

Die Erzählform ist ungewohnt, aber packend. Eine Dokumentation, aber auch mehr als das, weil die Geschichte sich entwickelt und auf einen Höhepunkt zusteuert. Bis dahin wirkt der Film so, als würde er zwei Geschichten erzählen wollen. Es dauert fast bis zum Schluss, bis Stanley und Oscar sich treffen, aber bis dahin hat man eine eindrucksvolle, die Tristesse und das Elend eines armen Lebens illustrierende Geschichte, die zwei Perspektiven bietet. Sie vermengen sich erst, als beide Teenager sich bei einer alten Mine treffen. Und dann ist diese Verquickung unscheinbar, fast flüchtig, ein Blick auf einen anderen Menschen und ein anderes Leben, aber nichts, das die Probleme des eigenen beseitigen würde.

Alles, was Oscar und Stanley haben, ist ihr Körper. Durch ihn erleben sie die Welt – in intimen Momenten eines Essens, beim Baden oder beim Radfahren. Beide Figuren erleben dies losgelöst vom anderen. Es ist alles, was sie haben.

Ein Leben, das auf die basischste Form heruntergebrochen ist, während alles um sie herum die Fäden in den Händen hält. Stanley und Oscar fühlen die Ohnmacht eines Lebens, das von den Entscheidungen anderer abhängig ist. Daraus ergibt sich eine Hoffnungslosigkeit, die den ganzen Film durchzieht, und die „Il Mio Corpo“ zur durchaus nicht leichten Unterhaltung macht.

„Il Mio Corpo“ wurde auf dem Filmfestival Visions du Réel in Nyon und beim ACID in Cannes gefeiert. Im Jahr 2021 war er als Bester Dokumentarfilm für den Schweizer Filmpreis nominiert.

 

Peter Osteried