Inside

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Was Tom Hanks kann, kann Willem Dafoe schon lange: Einen ganzen Film auf seinen Schultern tragen. Musste Ersterer als FedEx-Manager in der modernen Robinsonade „Cast Away – Verschollen“ (2000) auf einer einsamen Insel im Südpazifik ums nackte Überleben kämpfen, gerät Letzterer in „Inside“ als professioneller Kunstdieb während eines Einbruchs in eine existenziell bedrohliche Lage. Dem US-Schauspieler mit den markanten Gesichtszügen dabei zuzuschauen, wie er das Quasi-Ein-Personendrama mühelos stemmt, ist eine wahre Freude, auch wenn das auf der Berlinale uraufgeführte Spielfilmdebüt von Vasilis Katsoupis am Ende etwas ungelenk auf tiefsinnig macht.

Website: https://www.24-bilder.de/filmdetail.php?id=931

Regie: Vasilis Katsoupis
Drehbuch: Ben Hopkins
Darsteller: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck, Josia Krug

Länge: 105 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih/Vertrieb: Squareone/24 Bilder
Kinostart: 16.03.2023

FILMKRITIK:

Viel erfahren wir nicht über den von Dafoe verkörperten Protagonisten Nemo. Nur das: Die Kunst, repräsentiert durch einen Skizzenblock, den er seit jungen Jahren mit sich herumträgt, liegt ihm besonders am Herzen. Nach einer kurzen Voice-over-Einführung sehen wir diesen Mann gleich in Aktion, bei der Arbeit, wenn man das „Einbruchsgewerbe“ denn so nennen kann. Spezialisiert auf den Diebstahl wertvoller Kunstwerke, steigt Nemo in eine Luxuswohnung in einem New Yorker Hochhaus ein, die einem renommierten Sammler gehört.

Zunächst scheint alles glattzulaufen. Der Funkkontakt zu seinen Helfern außerhalb steht. Doch dann gibt es erste Irritationen. Ein Bild, das vor Ort sein soll, ist nicht aufzufinden. Die Nerven verliert Nemo jedoch erst, als sich plötzlich das Sicherheitssystem einschaltet, alle Ausgänge versperrt und daraufhin komplett zusammenbricht. Der Einbrecher sitzt in der Falle, ist gefangen in einem goldenen Käfig und wartet vergeblich darauf, dass irgendjemand aufkreuzt, um ihn aus seinem Dilemma zu befreien. Nicht einmal seine Komplizen eilen ihm zu Hilfe. Was die ganze Sache verkompliziert: In Abwesenheit des Besitzers kommt aus den Leitungen kein Tropfen Wasser, und noch dazu spielt die Raumtemperatur verrückt, steigt manchmal drastisch an, um dann wieder extrem abzufallen. Nemo muss daher schnellstmöglich nach einem Ausweg suchen, erleidet dabei aber immer wieder Rückschläge.

Auf völlig sicheren Beinen steht das von Ben Hopkins („Welcome to Karastan“) verfasste Drehbuch nicht. Wem Glaubwürdigkeit unverzichtbar ist, dürfte mit „Inside“ so seine Probleme haben. Dass beispielsweise niemand aufkreuzt, obwohl die Alarmanlage minutenlang lautstark aufheult, lässt sich nur bedingt plausibel erklären. Schafft man es allerdings, über derartige Logikbrüche hinwegzusehen, entfaltet der in sorgsam komponierten Bildern eingefangene Überlebenskampf eine eigenwillige Ausdruckskraft. Echte Thriller-Spannung, wie sie der Verleih in seinen Pressetexten ankündigt, sollte man nicht erwarten. Sehr wohl animiert die Situation, in der sich der Protagonist befindet, aber dazu, mit ihm mitzugehen, selbst über Lösungsoptionen nachzudenken.

Einen gewissen Reiz bezieht der Film nicht zuletzt aus seinem für ein Survivaldrama eher ungewöhnlichen Szenario. Anders als so viele Kinovorgänger sitzt Nemo nicht im Nirgendwo, jenseits der menschlichen Zivilisation fest. Im Gegenteil, Isolation und Einsamkeit überfallen ihn ausgerechnet an einem Ort größtmöglicher Betriebsamkeit. Um ihn herum pulsiert das New Yorker Leben, wird der Jahreswechsel gefeiert. Er selbst kann jedoch keinen Kontakt zur Umwelt aufbauen außer eine einseitige Verbindung über die Überwachungskameras der Wohnung, die die Flure, Treppenhäuser und den Eingangsbereich des Wolkenkratzers abbilden. Gelegentlich versucht er, eine junge Putzkraft (Eliza Stuyck) auf sich aufmerksam zu machen. Trotz räumlicher Nähe könnte er allerdings nicht weiter von ihr entfernt sein.

Vor allem zwei Dinge halten „Inside“ auf Kurs, lassen keinen großen Leerlauf entstehen. Der zwischen europäischem Arthouse-Kino und Hollywood-Produktionen hin- und herpendelnde Willem Dafoe arbeitet die emotionale Achterbahnfahrt der Hauptfigur nuanciert heraus, muss nicht zu großen, effekthascherischen Gesten greifen, um Nemos wachsende Verzweiflung in den Kinosaal zu transportieren. Gleichzeitig trifft er auch die kleinen humorvollen Töne, die es durchaus gibt, recht überzeugend. Eine wichtige Rolle für die kontinuierlich bedrückender werdende, irgendwann ins Surreale kippende Stimmung spielt natürlich auch das in den Kölner MMC Studios errichtete Setting der Luxuswohnung. Ihre hohen Decken und Türen lassen den gefangenen Eindringling nur noch kleiner und ausgelieferter erscheinen.

Ein wenig ins Stolpern kommt „Inside“ gegen Ende, wo Katsoupis und Hopkins mit aller Macht eine philosophisch-tiefgründige Ebene einziehen wollen. Der nackte Kampf ums Überleben ist ihnen offenbar nicht mehr genug und wird deshalb ergänzt um einige etwas aufgepfropft wirkende Überlegungen, auf die man gut und gerne hätte verzichten können. Den interessanten Eindruck, den das Ein-Personen-Stück bis dahin hinterlassen hat, zerstören sie allerdings nicht.

 

Christopher Diekhaus