Mascarpone

Zum Vergrößern klicken

In der italienischen Coming-of-Age-Tragikomödie „Mascarpone“ geht es nicht vordergründig um die cremige Dessert-Spezialität. Vom deutschen Verleihtitel sollte man sicher daher nicht in die Irre führen lassen, denn hinter „Maschile singolare“ (so der Originaltitel) verbirgt sich ein besonnen erzählter, lebensnaher Film über einen 30-jährigen Mann, der sich finden muss. Es geht um Eigenständig- und Unabhängigkeit, Sex, Liebe und die richtige Berufswahl. Sensibel verkörpert und mit frischen, temporeichen Dialogen garniert, erzählt „Mascarpone“ im Kern von der Orientierungslosigkeit heutiger Millennials. Aufgerieben zwischen dem Wunsch nach Stabilität und den Reizen des Single-Lebens in der großen Stadt.

Website: www.cinemien.de/film/mascarpone/

Maschile singolare
Italien 2021
Regie: Alessandro Guida, Matteo Pilati
Drehbuch: Alessandro Guida, Matteo Pilati
Darsteller: Giancarlo Commare, Eduardo Valdarnini, Gianmarco Saurino, Michela Giraud
Länge: 100 Minuten
Verleih: Cinemien
Kinostart: 24.02.2021

FILMKRITIK:

Antonio (Giancarlo Commare) ist ein 30-jähriger Architekt, der eigentlich ein zufriedenes Leben führt. Bis seine Beziehung zu Lorenzo, seiner großen Liebe, endet. Denn plötzlich steht Antonio vor dem Nichts, schließlich war er nicht nur psychisch, sondern auch wirtschaftlich von seinem (Ex-) Mann abhängig. Nun steht er da – ohne Beziehung, Wohnung, Arbeit und mit fehlender Perspektive. Doch wenig später erscheint Licht am Horizont und alles wendet sich zum Besseren: Antonio zieht in die WG des flippigen Denis (Eduardo Valdarnini) und beginnt eine Konditoren-Ausbildung in der Bäckerei von Luca (Gianmarco Saurino). Von nun an lautet seine Devise: Selbstfindung und die Erfüllung eigener Träume anstatt Abhängigkeit und Unfreiheit. Gelingt ihm der Start in ein neues Leben?

Der neue Film des Regie-Gespanns Alessandro Guida und Matteo Pilati taucht ein in das Lebensgefühl einer queeren, unkonventionellen Community in Rom. Im Zentrum steht Antonio (eine Entdeckung: Giancarlo Commare) als emotionaler Anker des Films. Seiner Wandlung vom unsicheren, unselbstständigen Charakter zum gereiften, selbstbewussten jungen Mann schenken Guida und Pilati die meiste Aufmerksamkeit.

Dabei gelingt es den Beiden wunderbar, die Alltagswirklichkeit und Empfindungen vieler heutiger Angehöriger sowie „Vertreter“ der Generation Z darzustellen. Millennials, die nicht selten zwischen dem Verlangen nach einer festen, stabilen Bindung und den Verlockungen des Single-Lebens hin- und hergerissen sind. Verloren in der Anonymität der Metropole. Und aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten erschöpft sowie überreizt. Bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres dauert es, wie im Fall von Antonio und seiner Clique, nicht mehr lang oder sie ist bereits abgeschlossen. Im Beruf haben sie ihren Weg oft (noch) nicht gefunden, hier fehlt es an klarer Richtung und Erfahrung – Auslandsaufenthalte, unzählige Praktika, abgebrochene Studiengänge oder andere Fehlentscheidungen kosteten Zeit.

Da ist es umso erfreulicher, mit welcher Ausgelassenheit und Selbstverständlichkeit „Mascarpone“ davon erzählt, dass es nie zu spät dafür ist auszubrechen und einen Neuanfang zu wagen. Antonio etwa findet seine Bestimmung im Backen und der Kreation von Süßspeisen, selbst wenn dieser Aspekt für die Handlung nie eine solch zentrale Rolle im Vergleich zu Filmen wie „Chocolat“ oder „Birnenkuchen mit Lavendel“ spielt.

Ein großes Plus ist die ungezwungene, natürliche Art und Weise, wie die (vor allem männlichen) Darsteller ihre sympathischen, charismatischen Figuren verkörpern. Mit schwungvoller, frischer Energie lieben und streiten sie sich, sind sie geprägt von Sorgen und Ängsten vor der Zukunft oder stürzen sich mit Lust und Freude ins Leben. Neben Giancarlo Commare setzt vor allem Gianmarco Saurino Akzente, dessen vielschichtiger Luca schon früh klar macht, was er von Antonio will. Hier sagen Blicke wieder einmal mehr als tausend Worte.

Als es später zu einem unerwarteten Schicksalsschlag kommt, befasst sich „Mascarpone“ dann schließlich noch mit den Themen Tod und Verlust sowie deren Verarbeitung. Das Auf und Ab des Lebens – all dies macht den Film zutiefst menschlich und lebensecht. Daneben profitiert „Mascarpone“ von seiner kommunikativen Dynamik und den unverkrampften, lebhaft-beschwingten Dialogen. Gekonnt umschifft der Film dabei die Gefahr, getrieben oder gehetzt zu wirken. Aufgrund jener Dynamik sowie des erzählerischen und inszenatorischen Tempos fühlen sich die 100 Minuten Laufzeit am Ende eher wie 70 oder 75 Minuten an. Ein gutes Zeichen.

Björn Schneider